IG Metall und die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft hegen große Ziele: Sie wollen einen Betriebsrat beim Software-Giganten SAP installieren. Schön, daß die Funktionäre endlich Zeit finden, den geschundenen Existenzen in Walldorf und anderswo zur Seite zu springen.
Ohne Zweifel sind Gewerkschaften eine ausgesprochen sinnvolle Einrichtung und für die Balance der Interessenfindung zwischen Arbeitgebern und -nehmern unverzichtbar. Und entgegen der Grob-Rhetorik vieler Verbandsfunktionäre von Gesamtmetall bis zum BDI finden auch sehr viele Unternehmer Gewerkschaften und Flächentarifverträge gar nicht so ungeschickt, auch wenn das natürlich nur ganz entre-nous zugegeben wird: Auseinandersetzungen können auf diese Weise außerhalb der Betriebsmauern geführt werden, der lokale Friede wird weit weniger gestört als bei Betriebsvereinbarungen.
Aktuell können sich die Gewerkschaften eigentlich nicht über einen Mangel an Aufgaben beschweren. Die Arbeitnehmer nach Reallohnverlusten wieder angemessen am Produktivitätszuwachs zu beteiligen, Perspektiven für junge Menschen im Arbeitsleben zu entwickeln, Interessenvertretung dort zu sein, wo Menschen ausgebeutet und mit Verweis auf 5 Mio. Arbeitslose täglich erpreßt und entrechtet werden – es gibt viel zu tun für die IG Metall, Verdi und die anderen. Jeden Tag, mitten in Deutschland.
Was ein Betriebsrat bei SAP bewirken sollte, bleibt dagegen schleierhaft. Lohnerhöhungen? Mitarbeiterbeteiligung? Wenn alle Unternehmen in Deutschland so zahlen und ihre Mitarbeiter am Unternehmen beteiligen würden wie SAP, wären die Diskussionen um die Ankurbelung der Binnennachfrage hinfällig. Umfangreichere Fortbildungsmöglichkeiten? Angebote für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen? Schnellere Dienstwagen? Strahlungsärmere Bildschirme? Zehn statt sechs Essen zur Auswahl in der Kantine? Was für ein Bild: SAP-Berater im Nadelstreifenanzug wärmen sich morgens um 5:30 Uhr zu Schichtbeginn während einer Arbeitsniederlegung am Feuer, das die IG Metall in einer Metalltonne vor dem Haupteingang angezündet hat.
SAP hat über Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat eine ausgesprochen effiziente und geräuscharme Interessenvertretung eingerichtet, im Wissen, daß ein Unternehmen nur dann erfolgreich ist, wenn es seine Beschäftigten mitnimmt. Es ist dies eine Form gewissermaßen aufgeklärten Unternehmertums. In diesem Fall stößt die Gewerkschaftsidee als solche schlicht an ihre Grenze. Das sollte eigentlich ein Grund zur Freude sein: SAP braucht keine Nachhilfe von IG Metall-Funktionären bei der Mitarbeiterführung. Die sollten sich besser andernorts einbringen, wo ihre Hilfe tatsächlich erforderlich scheint. Sonst setzen sie sich nur dem Verdacht aus, selbst einige warme Plätzchen zu suchen.
Stefan Preuß
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AXC0104 2006-03-01/12:19