Jochen Steffens
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Die Frage ist: Erleben wir noch einen versöhnlichen Jahresausklang? Kommt es also in den nächsten sieben bis acht Wochen noch zu steigenden Kursen?
Diese Frage wird sich wahrscheinlich bereits in den nächsten Tagen entscheiden. Dazu der Dax-Chart, in dem sich eine entscheidende und altbekannte Umkehrformation auszubilden beginnt:
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Es handelt sich um eine mögliche inverse Schulter-Kopf-Schulter-Formation (SKS). Diese Formation ist deswegen von so großer Bedeutung, weil sie eine vergleichsweise hohe Eintrittswahrscheinlichkeit hat, wenn sie denn regelgerecht ausgebildet wird. Leider beachten nur sehr wenige Chartanalysten, wie genau diese „Regeln“, insbesondere die zur Umsatzentwicklung, eingehalten werden müssen, damit es zu dieser hohen Eintrittswahrscheinlichkeit kommt. Kein Wunder also, dass alle möglichen Formationen, die auch nur entfernt wie eine SKS aussehen, also solche analysiert werden.
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Sechs notwendige Kriterien - die Tiefen der Charttechnik
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Ich will demnach heute, da sich im Dax gerade eine solche inverse SKS bisher nahezu perfekt ausbildet, einmal die Regeln anhand des aktuellen Dax-Verlaufs vorstellen:
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Kriterien:
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- Es muss zu einer in den meisten Fällen steilen Abwärtsbewegung gekommen sein, die zum ersten Tief (linke Schulter (S)) geführt hat. Diese muss von einem stark ansteigenden Volumen gekennzeichnet sein. (Ausverkauf). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.
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- Es folgt eine kleine Erholung. In dieser sollte der Umsatz sinken, so dass man eine Umsatzspitze um das Tief der Schulter erkennen kann (linker schwarzer Bogen). Auch diese Voraussetzung ist erfüllt.
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- Es kommt zu einer weiteren Abwärtsbewegung bis zum Kopf (K). Hierbei sollte die Aktivität in Form der Volumens wieder zunehmen. Gewöhnlich wird dabei das Umsatzvolumen der linken Schulter nicht übertroffen. Es ist aber kein Ausschlusskriterium wenn es das tut. Diese Voraussetzung ist erfüllt. [Anmerkung 1: Im Dax-Future liegt das Umsatzvolumen im Kopf tatsächlich unter dem der linken Schulter (im Dax hat der VW-Effekt zu einer Verzerrung geführt.) Anmerkung 2 für Chartisten: Wenn der Umsatz im Kopf höher ist, sollte man immer eine SKS mit zwei Köpfen, die im Tief einer W-Formation ähnelt, als Möglichkeit einbeziehen.]
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- Vom Kopf (dem Tief) aus kommt es unter fallendem Volumen zu einem erneuten Anstieg, der über das Tief der linken Schulter hinausgeht (!). Meistens erreicht er ungefähr das Zwischenhoch zwischen linker Schulter und Kopf. Auch diese Voraussetzung ist hier erfüllt.
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- Eine dritte Abwärtsbewegung folgt, mit der sich die rechte Schulter bildet (siehe rot gestrichelte Linie). Das Umsatzvolumen dieser Bewegung ist niedriger als das in der Schulter und des Kopfes. Diese Abwärtsbewegung erreicht nicht mehr das Kurstief, das beim Kopf gebildet wurde. Idealtypisch drehen die Kurse auf dem Kursniveau des Tiefs der linken Schulter.
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- Es kommt von dem Tief der rechten Schulter zu einer Rally. Der Umsatz sollte deutlich zulegen. Noch wichtiger aber ist, dass es zu einem deutlichen Umsatzanstieg bei dem Bruch der Nackenlinie (hier blau) kommen muss. (Die Nackenlinie ist eine Verbindung der Hochs zwischen den Schultern und dem Kopf).
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Hier verbergen sich zwei absolut notwendige Kriterien. Zunächst muss die Nackenlinie durchbrochen werden und das nachhaltig. Ansonsten ist die SKS hinfällig, weil nicht vollendet. Gerade bei der Bodenformation muss es bei diesem Bruch auch noch zu einem deutlichen Umsatzanstieg kommen. Ohne diesen kann man dem Bruch der Nackenlinie nicht trauen!
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Psyche der Anleger im Kursverlauf
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Es geht hier wieder einmal um Psychologie: Starke Umsätze bedeuten immer: Viele Käufer und Verkäufer! Und das ist der entscheidende Punkt: Nur wenn noch viele Verkäufer im Markt sind, ist das ein Hinweis darauf, dass die Skepsis groß genug für einen Boden ist. Nur dann werden noch viele Menschen versuchen, zu guten Kursen auszusteigen. Das bedeutet, sie warten lediglich auf eine Gegenbewegung, weil sie nicht auf Tiefstkursen verkaufen wollen.
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Nur wenn diese große Skepsis von einer breiten Käuferschicht aufgekauft wird, ist das der entscheidende Hinweis, dass die großen Adressen einen Grund gefunden haben, in den Markt einzusteigen. Und nur diese sehr große Kaufbereitschaft ist das eigentliche und damit entscheidende Signal, dass aus dieser Umkehrformation eine der sichersten charttechnischen Formationen macht.
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Chartanalyse falsch verstanden
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Warum viele versuchen, SKS-Formationen ohne eine entsprechende Umsatzentwicklung aus willkürlichen Kursbewegungen zu analysieren, bleibt somit ein Rätsel. Aber das sind die Analysen, die Menschen dazu bringen, die Chartanalyse abzutun. Sie finden eine „ähnliche“ Formation und wundern sich, dass sie zu keinen befriedigenden Ergebnissen kommen. Tatsächlich müssen aber ALLE der oben genannten Kriterien erfüllt sein, damit man eine Eintrittswahrscheinlichkeit von "lediglich" 80 % erhält (das bedeutet in 2 von 10 Fällen wird das Kursziel auch trotz all dieser Kriterien nicht erreicht.)
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Diese Aufzählung macht zudem deutlich, dass es nur sehr selten zu solchen Formationen kommt - kommen kann und dass 90 % aller Formation, die als SKS benannt werden, keine echten sind.
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Eintrittswahrscheinlichkeit und Kursziel
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Die Nackenlinie wurde im aktuellen Dax noch nicht gebrochen. Und somit muss abgewartet werden, ob es noch dazu kommt. Bis dahin gibt es im Tageschart keine nennenswerten charttechnischen Hinweise auf die weitere Kursentwicklung!
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Sollte die 6. Voraussetzung auch erfüllt werden, gibt es ein fest definiertes Kursziel, das mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 80-90 % erreicht wird.
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Das Kursziel berechnet sich aus der Spanne zwischen dem Tief des Kopfes und der Nackenlinie. Diese Spanne wird an den Ausbruchszeitpunkt und die Nackenlinie gelegt und ergibt das Kursziel (blaues Rechteck), das im Dax bei 6600 Punkten liegt.
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Wenn, dann im Dezember
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Dieses Kursziel würde dann wahrscheinlich erst im Dezember erreicht werden, so dass wir im Falle der Vollendung dieser Bodenformation mit einem versöhnlichen Jahresausklang rechnen können. Ob der Dax zuvor noch auf das Niveau der linken Schulter fällt oder bereits jetzt die Nackenlinie bricht, ist dabei noch nicht festzulegen. Wird die Nackenlinie nicht gebrochen, müssen wir hingegen mindestens mit einem Rückfall auf die alten Tiefs rechnen.
Viele Grüße
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Jochen Steffens
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Barack und Börse
von Torsten Ewert
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Verehrte Leserinnen und Leser,
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stellen Sie sich das doch einmal vor: Ein regnerischer Tag im November, und Menschen allen Alters tanzen und jubeln am Brandenburger Tor in Berlin, schwenken Deutschlandfahnen und fallen sich, vor Freude weinend, in die Arme.
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Nein, nein – wir sind nicht Fußballweltmeister und es gibt kein Rockkonzert, auch Silvester ist noch etwas hin. Die Menschen feiern einfach den Erfolg ihrer Partei nach der nächsten Bundestagswahl...
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Absolut unvorstellbar? Und doch ist genau das gerade letzte Woche passiert – natürlich nicht Berlin, aber in Washington und anderswo.
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Der Obama-Effekt
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Auch in den USA herrschte in der letzten Zeit so etwas wie Politikverdrossenheit. Auch die Amerikaner verlegten sich zuletzt immer häufiger aufs Jammern. Finanzkrise und drohende Rezession taten ein Übriges. Natürlich war und ist Barack Obama für viele US-Bürger zuallererst ein Anti-Bush. Das kennen wir ja aus Deutschland auch: Leute, die vor allem erst einmal gegen etwas sind, die so genannten Protestwähler.
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Aber Barack Obama hat es geschafft, diese Anti-Bush-Wähler zu Pro-Obama-Wähler zu machen. Und zwar auf absolut ur-amerikanische Art. Dank einer Eloquenz und eines Charismas, die so vielleicht nur in Amerika möglich sind, weil es dort traditionell einen Boden, eine Aufnahmebereitschaft dafür gibt.
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Selbst als Deutscher, als streng rational denkender Mensch kann man sich dieser Wirkung, dieser schon fast an Suggestion grenzenden Inbrunst, wie sie nur ein Amerikaner zustande bringt, nicht entziehen. Da reichen schon wenige Redeausschnitte in der Tagesschau, um ein Gänsehautgefühl hervorzuzaubern. Und wenn man dann noch in die gläubigen Gesichter seiner Zuhörer schaut...
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Wenn der Funke überspringt
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Was das jetzt alles mit der Börse zu tun hat, werden Sie fragen. Nun, ein ganze Menge. Denn wir durften uns zuletzt ja sogar von unseren weniger charismatischen Politikern aufklären lassen, dass die Finanzwelt – und nicht zuletzt eben auch die Börse – vor allem auf Vertrauen beruht. Das in den letzten Wochen und Monaten aber in größeren Mengen verschwunden ist.
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Es geht also hier nicht darum zu analysieren, was Obama nun als nächstes tun muss und wie und warum. Darüber sind in der letzten Woche eine Menge kluger Aufsätze geschrieben worden. Uns geht es hier um die Frage, ob dieses Vertrauen, das Obama seinen Wählern und (fast) der ganzen Welt eingeflößt hat, auch die Kraft hat, auf die Börse auszustrahlen.
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Ob also dieser Funke, den wir letzten Dienstag schon fast greifbar in den Augen der Obama-Fans sehen konnten, auf das ganze Land überspringt.
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Können sich die Amerikaner am Schopf aus dem Sumpf ziehen?
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Die USA, die ganze Welt steht ja aktuell vor einer Krise. Die Börsen sind vor allem deswegen so stark eingebrochen, weil die Anleger mit einer tiefen, langanhaltenden Krise, vor allem in den USA, rechnen. Ökonomen gehen davon aus, dass sich diese Krise nicht mehr aufhalten lässt und diskutieren derzeit nur noch wie lang und wie tiefgreifend sie sein soll.
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Und da soll Obama es schaffen, nur kraft seines Redetalentes die Krise abzuwenden?
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So sicher nicht. Aber wir im deutschen Jammertal unterschätzen zutiefst die Kraft dieser Suggestion, die sich gerade in Amerika entfalten kann. Praktisch eine Art Autosuggestion. Es wäre ja nicht das erste Mal. Selbst George W. Bush hatte nach dem 11. September 2001 leichtes Spiel, das Land hinter sich im Kampf gegen den Terror zu vereinigen.
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Und alleine diese mentale Kraft, die die USA auf diese Weise entfalten können, kann ausreichen, die wirtschaftliche Delle schneller auszubügeln. Und genau hier liegen die Chancen für die Anleger.
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Ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht
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Denn es ist der Unterschied zwischen Depression und „Hope“ (Hoffnung), zwischen Stagnation und „Change“ (Veränderung) – um es mal mit Obamas Schlagworten zu formulieren. Wer um seinen Job nur bangt, bleibt passiv – wer an seine Zukunft glaubt, wird daran aktiv mitgestalten. Frei nach dem Motto: „Wir steigern das Bruttosozialprodukt!“
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Sollte also der Obama-Effekt tatsächlich in den nächsten Monaten über die Massen auf die Wirtschaft ausstrahlen, wird die Börse das frühzeitig wittern und dann auch vorwegnehmen – mit steigenden Kursen. Kurzfristig werden die Märkte aber den neuen Mann argwöhnisch beschnuppern.
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Time to Change
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Denn traditionell ist die Zeit zwischen der Wahl im November und der Amtseinführung im Januar eine wichtige Phase für den neuen Präsidenten, um seine Duftmarken zu setzen. Diese Transition Time (Übergangszeit) muss er nutzen, um einen perfekten Start seiner Amtsperiode vorzubereiten.
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Reagan beispielsweise hat es geschafft, innerhalb von drei Monaten nach Amtsantritt die Gesetze und Maßnahmen für seine Reagonomics durchzusetzen. So etwas geht nur mit perfekter Vorbereitung.
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Barack Obama weiß das und wird sicher keine Minute verlieren. An der Börse zählt weniger Obamas Redegewandtheit als seine Professionalität und Führungsstärke.
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Was die Welt von Obama erwartet
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Apropos Führungsstärke. Nicht nur seine eigenen Bürger erwarten eine Menge vom neuen US-Präsidenten, sondern auch die Weltgemeinschaft projiziert etliche Wünsche und Illusionen auf diesen Barack Obama.
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Hier wie dort wird es sicherlich Enttäuschungen geben, denn der amerikanische Präsident ist keine Wunschfee, die jedem drei Wünsche erfüllt. Aber Obama kann natürlich auch weltpolitisch zur Führungsfigur werden und damit auch den USA international eine neue Bedeutung geben.
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Denn gerade die Wahl Obamas hat gezeigt, dass weit und breit keine Führungsmacht existiert, die auch nur annähernd die Rolle der USA einnehmen könnte. Die Chinesen haben zumindest nach innen die Obama-Wahl weitgehend unter den Tisch fallen lassen (freie Wahlen, selbst anderswo, sind der chinesischen Führung immer noch sehr suspekt).
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Russland hat sich mit seiner Reaktion (Ankündigung von Raketenstationierungen) endgültig selbst ins weltpolitische Abseits manövriert. Das gab es ja noch nicht einmal in Zeiten des finstersten Kalten Krieges, dass die Kreml-Führung einem neugewählten amerikanischen Präsidenten nicht zu seiner Wahl gratuliert hat!
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Gute Perspektiven für die Börsen
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Aber auch das ist letztlich positiv für Amerika, denn nun herrscht auch unter den Europäern eine seltene Einigkeit in punkto transatlantischer Politik. Und klare Fronten sind auch für Investoren wichtig – Sie wissen ja, nichts hasst die Börse so sehr wie Unsicherheit!
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Die Industriestaaten, speziell die USA, werden damit auch wieder als Anlageregion interessant: gut für US-Aktien und vielleicht auch für den Dollar. Wir dürfen gespannt sein, wie es in den nächsten Monaten weitergeht.
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Mit besten Grüßen
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Ihr Torsten Ewert
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PS: Nicht nur wegen der unsensiblen Aktion des Kreml vom letzten Mittwoch wird es beispielsweise Russland künftig schwerer haben, Investoren anzulocken. Auch unter anderen Blickwinkeln ist Russland auf dem besten Wege in eine ökonomische Sackgasse.