
Die Wirtschaftslage in Europa ist nach Einschätzung der Bank of America trotz der Schuldenkrise wesentlich günstiger als dies die Finanzmärkte signalisieren. "Aus volkswirtschaftlicher Sicht läuft in Europa nichts wirklich schief", sagte Holger Schmieding, Chefvolkswirt Europa der Bank of America am Donnerstag in Frankfurt. Die realwirtschaftlichen Indikatoren signalisierten insbesondere für die Kernländer der Eurozone einen robusten Aufschwung. "Die weltwirtschaftliche Erholung und der schwächere Euro stützen die Konjunktur in der Eurozone." Die relativ großen Verwerfungen an den Finanzmärkten hätten die Realwirtschaft kaum angesteckt.
"Aber auch in den südlichen Ländern der Eurozone ist die konjunkturelle Lage keineswegs dramatisch", sagte Schmieding. So seien die Konjunkturdaten aus Spanien zuletzt eher neutral ausgefallen. "In Spanien gibt es abgesehen vom Häusermarkt keine Rezession", sagte Schmieding. Auch habe Spanien keine Staatsschuldenkrise, sondern eine Krise im Sparkassensektor und eine hohe Verschuldung der Unternehmen. Mit rund 53,2 Prozent sei das Schuldenstand im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt im europäischen Vergleich relativ moderat. Langfristig sieht Schmieding nach den Sparmaßnahmen und den Reformen am Arbeitsmarkt günstige Aussichten für Spanien. Über den Sommer hinweg könnten jedoch weitere negative Meldungen aus dem Sparkassensektor die Märkte beunruhigen.
Auch für Griechenland sieht Schmieding gute Chancen, um eine Restrukturierung seiner Schulden herum zukommen. So habe die griechische Regierung im ersten Halbjahr ihr Haushaltsdefizit im Vergleich zum Vorjahr um über 30 Prozent zurückgefahren. "Voraussetzung für eine erfolgreiche Refinanzierung an den Märkten ist jedoch, dass die griechische Regierung ihre Reformpolitik die nächsten Jahre konsequent fortsetzt." Die Kombination aus Sparmaßnahmen und strukturellen Reformen sollte es Griechenland ermöglichen, in zwei Jahren wieder zu einem robusten Wachstum zurückzukehren. "Eine Krise kann zum Vater des Fortschritts werden", sagte Schmieding.
Die derzeitige Schuldenkrise im "Sonnengürtel Europas" wird laut Schmieding nicht zu einer erneuten Krise führen wie nach der Lehman-Pleite. Die Voraussetzung seien heute viel günstiger. Deutschland dürfte in den Kommenden Jahren besonders stark wachsen. So dürfte das BIP-Wachstum rund 1,5 Prozentpunkte über dem von Spanien liegen. "Dies ist aber ein natürlicher Ausgleich für das zuvor stärkere Wirtschaftswachstum der spanischen Wirtschaft." Insgesamt wird die Eurozone laut Schmieding im laufenden Jahr um 1,2 Prozent und im kommenden Jahr um 2,0 Prozent wachsen./jsl/bgf
AXC0101 2010-07-01/12:32