DJ INTERVIEW/Islands Präsident sieht verbesserte Beziehungen zur EU
Von Eyk Henning DOW JONES NEWSWIRES
REYKJAVIK (Dow Jones)--Island ist auf der politischen Landkarte ein relativ unbedeutendes Land und sein Präsident, Ólafur Ragnar Grimsson, auf der internationalen Bühne auch in der vierten Amtszeit lange ein unbeschriebenes Blatt geblieben. Doch vor ziemlich genau einem Jahr weigerte sich der heute 67-Jährige, ein Gesetz zu unterschreiben, mit dem die ausländischen Kunden der isländischen Pleite-Bank Icesave für ihre Verluste entschädigt werden sollen und wird damit international bekannt.
Vor allem in den Niederlanden und in Großbritannien war der Aufschrei groß. Beide Länder waren mit Entschädigungsleistungen von zusammen 3,8 Mrd EUR für ihre Icesave-Sparer in Vorleistung gegangen und forderten nun ihr Geld zurück. Für Island stand nicht weniger auf dem Spiel als der Plan des IWF, Island mit Notkrediten vor dem Kollaps zu bewahren, sowie die Beitrittsbemühungen zur Europäischen Union. Dennoch bereut Ólafur Ragnar Grimsson es nicht, dass er das Icesave-Gesetz abgelehnt und stattdessen eine Volksabstimmung ermöglicht hat.
"Es hat sich als sehr gute Entscheidung für unsere Demokratie, für das Land, für unsere wirtschaftliche Position und für unsere Beziehung zu Großbritannien, den Niederlanden und dem Rest der Welt erwiesen", sagt Grimsson in der Präsidenten-Residenz in der isländischen Hauptstadt Reykjavik. Von einem "politikwissenschaftlichen und einem verfassungsrechtlichen Standpunkt aus betrachtet" sei diese Entscheidung sogar die wichtigste seiner Präsidentschaft gewesen. Den gut 300.000 Isländern hat sie eine Menge Geld gespart.
Grimsson musste sich zwischen einem internationalen Konflikt mit Regierungen in Europa und dem Dasein als Islands unbeliebtester Person der jüngeren Geschichte entscheiden. Vor seinem Amtssitz hatten Bürger demonstriert und ihn aufgefordert, das Gesetz zu stoppen, das Island die Zahlung von insgesamt 2,35 Mrd GBP an britische und 1,32 Mrd EUR an niederländische Icesave-Kunden auferlegt hätte. Das Land hätte daran in den kommenden 15 Jahren zu knabbern gehabt, bei einem Zinssatz von mehr als 5%. Pro Kopf entsprach dies einer Belastung von fast 20.000 USD. Die Konditionen waren "empörend", erklärt Grimsson.
"Die Leute appellierten an den Präsidenten (...) die Icesave-Entscheidung in ein Referendum zu geben", sagt das Staatsoberhaupt, der in einem kleinen Fischerort im Nordwesten der Insel als Sohn eines Friseurs und einer Hausfrau geboren wurde. Grimsson gewährt das Referendum, in dem sich zwei Monate später mehr als 90% der Befragten gegen das Gesetz aussprechen.
Vor einem Monat hat Island zusammen mit Großbritannien und den Niederlanden einen neuen Entschädigungsplan ausgearbeitet. Demnach muss das Land statt 162 Mrd ISK nur noch 47 Mrd ISK zahlen. Die Differenz soll mit Einnahmen aus dem Verkauf von Vermögenswerten der isländischen Icesave-Mutter Landsbanki beglichen werden.
Zum neuen Icesave-Plan und den Chancen für einen endgültigen Schlussstrich unter der Angelegenheit will sich Grimsson nicht äußern. Der Plan wird gerade vom isländischen Parlament geprüft. "Ich mische mich nicht in die Diskussion ein. Ich respektiere das Recht des Parlaments auf freie Debatte", sagt er stattdessen. Mit einer Abstimmung rechnet Präsident Grimsson in der zweiten Januarhälfte oder Anfang Februar. Dann wird es Grimsson erneut zur Genehmigung vorgelegt.
Sollte der Plan Gesetz werden, würden sich die Beziehungen Islands zu Großbritannien und den Niederlanden entspannen, würde es die Rückkehr des Inselstaats an die internationalen Anleihemärkte erleichtern. Die Ratingagentur Fitch hat bereits angedeutet, sie könnte Islands Bonität dann wieder heraufstufen. Vor einem Jahr, nachdem Grimsson das erste Icesave-Gesetz gestoppt hatte, hatte Fitch Islands Bonitätsbewertung auf Ramschniveau gesenkt, so dass der Inselstaat beachtlich höhere Zinsen bei Anleihegeschäften zahlen musste.
Grimsson, der in Manchester Wirtschafts- und Politikwissenschaft studiert und später einen Doktortitel erlangt hat, kritisierte Fitch seinerzeit dafür und bezeichnete die Ratings der Agentur in den vergangenen zwei oder drei Jahren als komplett falsch. Standard & Poor's und Moody's Investors Service hielten dagegen an ihrem Investment-Grade-Rating für isländische Staatsanleihen fest.
Die Erinnerungen an die internationalen Turbulenzen sind in Reykjavik immer noch frisch. So warnte das britische Regierungsmitglied Paul Myners vor einem Jahr, ein "Nein" im Icesave-Referendum könnte sich auf die britische Haltung zu einem Beitritt Islands zur EU auswirken. Auch der damalige britische Premierminister habe nichts getan, um die Situation zu entspannen, sagt Islands Staatsoberhaupt: "Falls Gordon Brown ein ehrbarer Mann sein will, sollte er sich dafür entschuldigen, der Welt gesagt zu haben, Island sei ein Pleite-Staat."
Auslandsunternehmen hatten daraufhin den Handel mit isländischen Partnern eingestellt. Seinerzeit sei hitzig darüber debattiert worden, ob Island die britische Regierung verklagen sollte. "Doch heute ergeht es uns wirtschaftlich besser als vielen anderen Ländern Europas", sagt der Präsident lächelnd.
Der Kollaps der drei größten Banken des Landes traf Island hart. Mittlerweile erholt sich der Staat, und die Wirtschaft wächst langsam wieder. Das Bruttoinlandsprodukt legte im dritten Quartal 2010 um solide 1,2% zu - das erste Quartal mit positiven Zahlen, seit der vom Internationalen Währungsfonds (IWF) eingeleiteten Rettung im Oktober 2008. Nach Ansicht von Grimsson ist die isländische Wirtschaft viel besser aufgestellt, um zu alter Stärke zurückzufinden als in vielen anderen Ländern. Für 2011 erwartet der IWF ein Wachstum des isländischen BIP um 2% nach 3% Rückgang im Jahr 2010.
"Natürlich hat die Abwertung der isländischen Krone unsere Exporte angekurbelt", sagt Grimsson. Noch immer ist sie 30% weniger wert als 2008. Über den Vorteil einer eigenen Währung werde in Island im Zusammenhang mit einem möglichen EU-Beitritt gerade heiß diskutiert, fügt der Präsident hinzu.
Nach dem Zusammenbruch des heimischen Bankensystems sei es für Island utopisch erschienen, die eigene Währung zu behalten, so Grimsson. Darin habe der wichtigste Grund gelegen, die EU-Mitgliedschaft anzustreben. "In der jüngsten Zeit beobachten wir, wie die Länder der Eurozone von einer Krise in die nächste geraten. Das hat das Bild verändert", sagt der Präsident weiter. Es wäre sicher möglich, dass Island der EU beitrete, ohne den Euro zu übernehmen. Immerhin seien auch Polen, "unsere Freunde in Dänemark" sowie Großbritannien nicht in der Eurozone.
Die Frage des EU-Beitritts von Island könnte sich indes an einem ganz anderen Punkt entscheiden. Da sei das Thema der Fischerei, erklärt Grimsson. Island will die Kontrolle über seine Fischgründe behalten, schließlich ist das Land hochgradig von diesem Sektor abhängig. "Es gibt kein Land in der EU, das sich in einer ähnlichen Situation befindet."
"Einmal", erinnert sich Grimsson an die Zeit der Proteste, "waren Demonstranten hierher gekommen. Sie waren jung, also haben meine Frau und ich sie eingeladen zu heißer Schokolade, und wir haben lange diskutiert über Revolutionstheorien, Globalisierung und die Eigenschaften des Kapitalismus."
Gefragt nach einem empfehlenswerten Buch über Island nennt Grimsson den Roman "Sein eigener Herr" vom isländischen Nobelpreisträger Halldór Laxness, der in zwei Teilen 1934 und 1935 veröffentlicht wurde. Er beschreibt den Kampf armer isländischer Bauern zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die mit kleinen Höfen auf der kargen Insel überleben mussten. Der Roman gilt als eines der berühmtesten Beispiele für sozialen Realismus in der isländischen Literatur. Womöglich hat es Grimsson als politischer Leitfaden gedient.
-Von Eyk Henning, Dow Jones Newswires, +49 (0)69 29725 103, eyk.henning@dowjones.com DJG/DJN/ebb/rio/kth
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January 17, 2011 04:50 ET (09:50 GMT)
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