Angesichts der anschwellenden Euro-Krise hat der frühere Ministerpräsident von Sachsen, Kurt Biedenkopf, Altkanzler Helmut Kohl (beide CDU) schwere Versäumnisse bei der Vorbereitung der Gemeinschaftswährung vorgeworfen. "Helmut Kohl war der Zeitplan letztlich wichtiger als die Stabilität", sagte Biedenkopf dem Nachrichtenmagazin "Focus".
"Darum hat er auch sein politisches Schicksal mit dem Euro verbunden, was eine rationale Debatte verhinderte." Schon während der Verhandlungen zum Stabilitätspakt sei deutlich geworden, dass die meisten Länder eine strikte Sparpolitik und Haushaltsdisziplin als Einmischung in ihre politische Souveränität ablehnten. Biedenkopfs Fazit: "Kohl konnte nicht ernsthaft darauf hoffen, dass die Stabilitätskriterien eingehalten würden." Auch der Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz, Autor der aktuellen Kohl-Biografie, weist dem Altkanzler eine "maßgebliche Mitverantwortung" für die heutige Euro-Krise zu.
Im Interview mit dem Magazin sagte Schwarz, Kohl sei fest davon überzeugt gewesen, dass eine gemeinsame Währung die Europäische Einigung unumkehrbar machen würde. "Dem hat er alles andere untergeordnet." Dieter Spethmann, langjähriger Vorstandsvorsitzender von Thyssen und einer der wichtigsten Wirtschaftsführer der Kohl-Ära, äußerte sich ähnlich: "Kohl kannte die vielen berechtigten Einwände gegen die Einführung des Euro." Aber er habe sie alle beiseite gewischt.
"Deshalb trägt er heute auch einen großen Teil der Verantwortung für die Euro-Krise." Der frühere Finanzminister Theo Waigel (CSU) verteidigte dagegen die Politik der Kohl-Ära: "Beim Euro sind nicht Geburtsfehler zu verzeichnen, sondern schwerste Erziehungsfehler in den Flegeljahren", sagte er in Anspielung auf Deutschlands dreifachen Verstoß gegen den Stabilitätspakt in der Amtszeit von Kanzler Gerhard Schröder (SPD). Auch der frühere Ministerpräsident von Thüringen, Bernhard Vogel (CDU), wies die Kritik zurück. "Heutige Krisensituationen hat Helmut Kohl natürlich nicht vorher sehen können." Aber er habe "größten Wert gelegt auf eine bestmögliche Sicherung der Stabilität des Euro".