Von Nicholas Winning
LONDON-Der britische Schatzkanzler George Osborne will der Europäischen Union am Mittwoch eine scharfe Reformwarnung aussprechen und erneut die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens in Frage stellen.
Laut dem Manuskript einer Rede, die Osborne auf einer Konferenz halten will, müsse sich die EU jetzt für Reformen entscheiden, sonst würde sie wirtschaftlich zugrunde gehen. Er selbst sei entschlossen, den nötigen Wandel anzustoßen und dann die Briten abstimmen zu lassen, ob ihr Land weiterhin in der EU bleiben soll, heißt es in dem Redeprotokoll.
Die konservative Partei von Ministerpräsident David Cameron steht innenpolitisch stark unter Druck. Cameron hat zwar schon angekündigt, dass er im Falle eines Wahlsiegs im Jahr 2015 die Beziehungen Großbritanniens zur EU neu aushandeln und Ende 2017 eine Volksabstimmung über die britische Mitgliedschaft ansetzen werde. Doch die Erzkonservativen in seiner Partei wollen, dass er noch weitergeht.
Auf der Konferenz, die von einer Gruppe konservativer Abgeordneter und einem Thinktank organisiert wird, soll Finanzminister Osborne laut Manuskript sagen, dass die größte wirtschaftliche Gefahr für Europa darin bestände, nicht zu reformieren und neu zu verhandeln.
"Der Status Quo verdammt das europäische Volk zu einer anhaltenden Wirtschaftskrise und fortlaufendem Niedergang", wird Osborne demnach sagen. "Also hat Europa eine einfache Wahl: reformieren oder absteigen. Unsere Zielsetzung ist klar: die Reform liefern, und dann das Volk entscheiden lassen."
Osborne wird laut Redeentwurf auch sagen, dass es in der Welt eine dramatische Machtverschiebung nach Osten und Süden gegeben habe. Während die europäische Wirtschaft in den vergangenen sechs Jahren stagniert habe, sei etwa die indische Wirtschaft um ein Drittel gewachsen und die chinesische um 50 Prozent.
"Täuschen Sie sich nicht, unser Kontinent ist dabei, ins Hintertreffen zu geraten", wird Osborne mit einem Verweis auf Innovationen, Arbeitslosigkeit und Sozialausgaben sagen. "Wie schon Angela Merkel bemerkt hat, stellt Europa nur noch knapp über 7 Prozent der Weltbevölkerung, 25 Prozent der Weltwirtschaft und 50 Prozent der globalen Wohlfahrtsausgaben. Wir können so nicht weitermachen."
Großbritanniens Verhältnis zur EU ist seit Jahren ein Streitthema bei den Bürgern im Land, vor allem im Lager der traditionell euroskeptischen Konservativen. Meinungsumfragen zeigen jedoch, dass die EU-Beziehungen für die Wähler nicht das wichtigste Sorgenthema sind. Konservative Premierminister haben sich in Großbritannien aber immer wieder den Vorwurf der eigenen Abgeordneten anhören müssen, Brüssel rede ihnen zu viel in die heimischen Belange hinein.
Cameron hat sich für den Verbleib Großbritanniens in der EU ausgesprochen, aber unter veränderten Bedingungen. Die Folgen der Eurokrise müssten sich in einem neu ausbalancierten Verhältnis widerspiegeln. Anschließend soll das Volk die Wahl bekommen, ob es die Mitgliedschaft noch will oder nicht. Ein Ausstieg aus der EU könnte nach Ansicht von Beobachtern harte Konsequenzen für die britische Wirtschaft haben und den Ruf des Landes auf der Weltbühne beschädigen.
Vor seinem Amtsantritt 2010 hatte Cameron seine konservative Partei noch dafür kritisiert, "die ganze Zeit nur über Europa zu reden". Aber das Referendum, mit dem er eigentlich einen Schlussstrich unter die Debatte ziehen wollte, hat die euroskeptischen Tories nicht zufrieden gestellt.
Die Europa-Debatte in der Partei ist vor allem von der Angst vor der rechtspopulistischen United Kingdom Independence Party bestimmt. Die kleine, aber lautstarke Partei kämpft verbissen gegen die britische EU-Mitgliedschaft. Der Zulauf für die UKIP könnte das rechte Lager spalten, was die Wahlchancen der Konservativen im Jahr 2015 ernsthaft beschädigen könnte.
Der Druck auf Cameron stieg am Wochenende weiter. Der konservative Angeordnete Bernard Jenkin forderte in einem Brief an den Premier, dieser solle dem Parlament ein Vetorecht für alle aktuellen und künftigen EU-Gesetze einräumen. Das Unterhaus müsse in der Lage sein, EU-Recht in Großbritannien aufzuheben, "wenn das in unserem nationalen Interesse ist". Laut Jenkins wurde der Brief von 95 konservativen Abgeordneten unterstützt, das ist etwa ein Drittel der Fraktion. Namen nannte er aber nicht.
"Der Vorschlag würde es zum Beispiel der Regierung ermöglichen, die Kontrolle über unsere Grenzen wiederzuerlangen, die EU-Hürden für Unternehmen aufzuheben, die Kontrolle über unsere Energiepolitik zurückzugewinnen und die EU-Charta der Grundrechte aufzuheben…auf vernünftige Art und Weise", heißt es in dem Brief.
Außenminister William Hague wies den Vorschlag schnell zurück. Die Liberaldemokraten, Camerons kleiner pro-europäischer Koalitionspartner, nannten die Idee "verrückt". Das Gezanke der Tories über Europa schade dem Land, sagten sie.
"Wenn die nationalen Parlamente in der ganzen EU regelmäßig entscheiden dürften, welche Teile der EU sie akzeptieren und welche nicht, würde der europäische Binnenmarkt nicht funktionieren. Selbst Freihandelsabkommen, wie sie mit der Schweiz bestehen, würden dann nicht zustandekommen", sagte Hague am Sonntag in einem Interview mit Sky News.
Die Liberaldemokraten forderten die Tories auf, sich zu entscheiden, ob sie in der EU bleiben wollen oder nicht. "Eine der größten Bedrohungen für die Wirtschaftserholung im kommenden Jahr ist die Angst, dass einige Leute in der konservativen Partei Großbritannien aus der EU drängen wollen", sagte der Abgeordnete Danny Alexander, die Nummer zwei im Finanzministerium, am Montag dem Sender ITV.
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January 15, 2014 02:54 ET (07:54 GMT)
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