Von Andreas Kißler
BERLIN--Der Westen hat lange mit Wirtschaftssanktionen gegen Russland gezögert, wohl auch, weil diese die eigenen Volkswirtschaften belasten werden. Doch nun machen die Staaten der Europäischen Union (EU) und die USA Ernst. Seit Montag beraten die Ständigen Vertreter der EU-Staaten in Brüssel darüber, wie genau Russland getroffen werden soll. Aus der deutschen Wirtschaft aber heißt es, sie leide schon längst unter den geplanten Sanktionen.
Die Bundesregierung hat sich am Montag festgelegt und ein "starkes Signal" von Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland gefordert. Berlin will ein "substanzielles, sektorspezifisches Paket" von Maßnahmen. Um abschließend über diese zu befinden, treffen sich die Ständigen Vertreter der EU-Staaten am Dienstag in Brüssel. Ziel sind offenbar vier Bereiche: eine Beschränkung des russischen Zugangs zu den europäischen Kapitalmärkten sowie Verbote für Exporte von militärisch nutzbaren Gütern, Energietechnologie und Waffen in das Land.
Die Wirtschaft zeigt sich inzwischen gespalten, was die Sanktionen angeht. Während vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft betont wird, es sei Primat der Politik, solche Sanktionen zu verhängen, spricht sich der Mittelstandsverband BVMW inzwischen ausdrücklich dagegen aus.
Rückgang der Exporte nach Russland absehbar
Doch auch der DIHK beklagt eine starke Belastung der Wirtschaftsbeziehungen zu Russland. Die Kammerorganisation hat deshalb bereits jetzt ihre Prognose für die deutschen Exporte nach Russland deutlich gesenkt. Erwartet wird nun für dieses Jahr ein Rückgang der Ausfuhren um 17 Prozent. "Wir sehen in den ersten Monaten 2014 von Monat zu Monat einen stärkeren Einbruch der Exporte", sagte DIHK-Außenwirtschaftsexperte Heiko Schwiderowski dem Wall Street Journal Deutschland. "Wir haben die Sorge, dass der Export mit den Sanktionen noch ein bisschen stärker einbricht."
Der DIHK betont, dass die geplanten Wirtschaftssanktionen schon jetzt der deutschen Wirtschaft schaden. "Im Grunde wirken sie schon, denn jeder hat sie erwartet", sagte Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben in der ARD. "Es sind viele Investitionen auf Eis gelegt - man weiß nicht, wie die Finanzierung zu stemmen ist." Viele russische Kunden verzichteten inzwischen auf Bestellungen. "Die Instabilität ist schon längst da", konstatierte Wansleben.
Russische Kunden könnten sich andere Lieferanten suchen
Schwiderowski warnte davor, das sich die russischen Kunden künftig neu in Richtung möglicher asiatischer Lieferanten orientieren könnten, weil sie um die Zuverlässigkeit der deutschen Partner fürchteten. Diese Sorge sei unter den in Russland aktiven deutschen Unternehmen verbreitet. Besonders im Maschinenbau und bei Infrastrukturprojekten drohten die über zwei Jahrzehnte aufgebauten Beziehungen angegriffen zu werden.
Wansleben erklärte, zwar könne die Volkswirtschaft in Deutschland insgesamt die Auswirkungen eine Weile wegstecken, aber einzelne Branchen und Unternehmen seien stark betroffen. "Es gibt Unternehmen, die jetzt richtig leiden." Dies habe auch Konsequenzen für die Arbeitsplätze. Wansleben forderte die Unternehmen aber dazu auf, "alle Kontakte aufrechterhalten, die sie zu Russland haben", um am Ende wieder zu einer friedlichen Konstellation zu kommen. Die Regierung von Präsident Wladimir Putin rief Wansleben dazu auf, dass sie "jetzt eine klare Linie in Richtung Versöhnung fährt."
Folgen den Sanktionen Gegensanktionen?
Wirtschaftsforscher zeigten sich allerdings skeptisch, ob dies als Folge der geplanten Sanktionen zu erwarten sei. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hielt vielmehr auch russische Gegensanktionen für möglich. "Die große Frage ist, kommt es zu einer Eskalation, wird Russland diese Sanktionen erwidern?", sagte er ebenfalls in der ARD. "Dann könnten die Kosten für Deutschland wirklich deutlich höher sein." Zwar machten solche Maßnahmen aus wirtschaftlicher Sicht für Russland keinen Sinn, politisch sei das aber möglicherweise anders. "Es kann sehr gut sein, dass es zu Erwiderungen kommt."
Insgesamt sieht der Ökonom aus den Sanktionen "hohe Risiken für die deutsche Wirtschaft", wie stark die Folgen für Arbeitsplätze seien, sei derzeit nicht seriös zu prognostizieren. Fratzscher erwartet, dass die nun diskutierten Sanktionen in jedem Fall einen großen Effekt auf Russland haben werden. Vor allem gelte dies für Einschränkungen im Finanzbereich. "Letztlich bedeutet es eine starke Abschwächung der russischen Wirtschaft, und damit werden die Sanktionen Russland hart treffen - aber auch uns in Deutschland."
Sorgen vor Kapitalflucht aus Russland und den möglichen Folgen
Wegen seiner sehr offenen Volkswirtschaft und den starken Finanzverflechtungen mit Russland werde Deutschland besonders stark von den Sanktionen betroffen sein, zeigte sich der DIW-Chef überzeugt. Verstärke sich die bereits jetzt festzustellende Kapitalflucht aus Russland, könne das Land in einiger Zeit auch vor der Zahlungsunfähigkeit stehen. Die Wahrscheinlichkeit eines daraus resultierenden weltweiten systemischen Crashs sieht der Volkswirt aber nicht.
Aus Sicht des CDU-Wirtschaftsexperten Michael Fuchs werden die Sanktionen die deutsche Wirtschaft "ganz bestimmt nicht erfreuen und auch mit ziemlicher Sicherheit in dem einen oder anderen Fall ganz schwierige Situationen herbeiführen", er ging jedoch von einer Unterstützung durch die deutsche Wirtschaft aus.
Den konkreten Beschluss über die geplanten Sanktionen können theoretisch die EU-Diplomaten allein treffen, da die Staats- und Regierungschefs und die Außenminister bereits bei ihren jüngsten Treffen entsprechende Abstimmungen vorgenommen haben. Möglicherweise kommt es aber noch zu einem Sondergipfel.
Deutschland sollte weniger russisches Gas importieren
Unions-Fraktionsvize Fuchs hat auch einen Verzicht auf russisches Gas durch Deutschland gefordert. "Auf der anderen Seite müssen wir überlegen, was trifft die Russen wirklich", sagte er im Deutschlandfunk. "Meiner Meinung nach wäre die stärkste Sanktion, die wir haben könnten, weniger Gasbezug." Etwa durch Flüssiggasimporte bestünden andere Möglichkeiten, Gas nach Deutschland zu bekommen. "Wenn wir weniger Gas beziehen würden, würde das auch weniger Devisen für Russland bedeuten - ich glaube, das wirkt schneller als alles andere."
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July 29, 2014 08:15 ET (12:15 GMT)
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