
Liebe Leserin, lieber Leser,
das war ja etwas gestern = Montag bei der Solarworld-Aktie:
Im Xetra-Handel begann der Tag für die Solarworld-Aktie bei 12,40 Euro. Das Tageshoch lag bei 12,68 Euro. Doch nachmittags brach der Kurs regelrecht ein - das Tagestief lag bei 5,48 Euro und damit fast 57% unter dem Tageshoch! Danach setzte eine Aufholjagd ein, und der Kurs stieg bis Handelsende wieder auf 9,951 Euro - gegenüber dem Tagestief ein Zuwachs von fast 82%, doch gegenüber dem Handelsstart immer noch ein Minus, von fast 20%. Was für eine Volatilität. Ich klebte am Monitor und beeilte mich sogar, als ich mir meinen nachmittäglichen Kaffee holte, da die Solarworld-Aktie in wenigen Minuten so stark springen konnte.
Chart Solarworld AG
"Nichts für schwache Nerven", um diesen Spruch einmal zu bemühen: Der gestrige Kursverlauf der Solarworld-Aktie. Quelle: Finanzen100
Wenn Sie sich mit diesem Titel beschäftigen bzw. die Solarworld-Aktie handeln möchten, dann habe ich hier für Sie den fundamentalen Hintergrund zum Unternehmen zusammengetragen. Zu den Details:
Hintergrund: Der Hemlock-Prozess
Beginnen wir direkt mit dem Anlass für die gestrigen Kursturbulenzen. Denn Solarworld hat derzeit einen laufenden Rechtsstreit, bei dem es um einen dreistelligen Millionenbetrag (US-Dollar) geht. Und zwar könnte das Unternehmen diesen Betrag zahlen müssen, wenn das zuständige US-Gericht gegen Solarworld entscheidet. Um was es geht:
In den Jahren 2005 bis 2010 hat Solarworld (bzw. ein Tochterunternehmen des Konzerns) Abnahmeverträge mit Hemlock Semiconductor (aus Hemlock, Michigan, USA) geschlossen. Hemlock ist ein Lieferant von Silizium. Solche Abnahmeverträge sind nicht unüblich und sinngemäß üblicherweise der Art geschlossen: Wir nehmen die Menge XY pro Jahr ab, zum vorher festgelegten Fixpreis von Z. Auf diese Weise können beide Seiten besser planen. Wenn die Preise des Gutes dann steigen, hat der Abnehmer einen Vorteil, weil er zum Fixpreis kauft. Wenn die Preise fallen, hat der Anbieter einen Vorteil, weil er trotzdem den höheren zuvor vereinbarten Preis bekommt.
Was es mit den Abnahmeverträgen auf sich hat
Diese Abnahmeverträge wurden in einer für die Photovoltaik boomenden Zeit geschlossen. Doch wie Sie wahrscheinlich wissen, geriet die Branche in eine massive Krise. 2011 bekam Solarworld massive Probleme, rutschte sehr tief in die roten Zahlen und litt unter einer hohen Schuldenlast. Es hätte nicht viel gefehlt, und das Unternehmen wäre insolvent gewesen. Ein "Schuldenschnitt" (sprich: Gläubiger verzichteten auf ihre Forderungen, erhielten dafür teilweise neue Solarworld-Aktien) rettete die Solarworld AG. In dieser Krisenzeit konnte bzw. wollte Solarworld nicht die zuvor vereinbarten Silizium-Mengen abnehmen.
So verständlich das aus Sicht von Solarworld ist - das Prinzip der Vertragstreue lautet auf Latein: "Pacta sunt servanda" (= Verträge sind einzuhalten). Darauf pochte Hemlock. Als Solarworld sich nicht daran hielt, reichte Hemlock daraufhin im Jahr 2013 vor einem Gericht in Michigan (wo sich der Firmensitz von Hemlock befindet) Klage gegen Solarworld ein. Und da geht es um einen dreistelligen Millionenbetrag. In solchen Fällen muss das Unternehmen auf die drohenden Risiken hinweisen. Ich habe mir deshalb in der Vergangenheit bereits die diesbezüglichen Hinweise von Solarworld angeschaut.
Jüngster Stand dazu sind die Angaben zu den Zahlen des zweiten Quartals. Da findet sich in den "Erläuterungen zum Konzern-Zwischenabschluss" unter dem Punkt "Sonstiges" auf Seite 39, ich zitiere:
"Das Tochterunternehmen SolarWorld Industries Sachsen GmbH (vormals Deutsche Solar GmbH) befindet sich als Beklagte in einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit einem Siliziumlieferanten. Hintergrund ist die Nichtabnahme von Silizium aus mit diesem Siliziumlieferanten abgeschlossenen langfristigen Siliziumverträgen. Der Siliziumlieferant macht aufgrund der Nichtabnahme Ansprüche aus der 'Take or Pay' Verpflichtung und aus Schadenersatz in Höhe von insgesamt USD 676 Mio. geltend."
676 Mio. Dollar - das ist ein Batzen. Das auch vor dem Hintergrund, dass die liquiden Mittel der Solarworld AG laut demselben Quartalsbericht per 30.6. bei 141,435 Mio. Euro und damit deutlich unter dieser Marke lagen.
Quelle: Solarworld, Konzern-Zwischenbericht Q2 2015
Teilentscheid des Gerichts im Hemlock-Prozess
Aktueller Anlass für das Kursdebakel war dann eine Teilentscheidung des Gerichts im Streit Hemlock - Solarworld. Derzufolge (meine Quelle ist das Wall Street Journal) wurden einige Einwände von Solarworld abgelehnt. Solarworld hatte sich demnach offensichtlich auf europäisches Kartellrecht berufen: Demzufolge wäre in den Verträgen die Klausel unwirksam, dass das abgenommene Silizium nicht weiter verkauft werden kann. Das Gericht entschied, dass dieses Argument im Verfahren keine Anwendung finden würde - europäisches Kartellrecht sei für das mit dem US-Unternehmen Hemlock geschlossenes Abkommen irrelevant.
Das ist im Grunde die Basis für den Kurseinbruch: Dieser Teilentscheid des US-Gerichts. Einige Medien spekulierten, dass das sozusagen eine Vorwegnahme eines Urteils gegen Solarworld sei. Und wenn Solarworld mit einem Schlag besagte 676 Mio. Dollar (mit Zinsen und Gebühren dürften es inzwischen 700 bis 800 Mio. Dollar sein, so meine grobe Schätzung) zahlen müsste, dann würde in der Tat die Insolvenz drohen.
Unter folgendem Link finden Sie den genannten interessanten Artikel im Wall Street Journal (frei zugänglich):
Europe's SolarWorld Dealt a Blow in U.S. Lawsuit Over Supplier Payments
Und genau diese Furcht vor einer Insolvenz trieb am Montag Solarworld-Aktionäre dazu, ihre Papiere sozusagen zu jedem Preis auf den Markt zu werfen. Die Kurswende am Montag kam dann, als sich Solarworld selbst zum Prozess äußerte. Ich zitiere auch aus dieser Meldung:
"Die Gesellschaft sieht keine höhere Risikoeinschätzung seit dem Prozessbeginn im März 2013 und hat dies seitdem kontinuierlich bilanziell gewürdigt. Die voraussichtlichen weiteren Prozessjahre der ersten und der sich unter Umständen anschließenden zweiten Instanz wird die SolarWorld nutzen, auch mit dem Siliziumlieferanten Hemlock eine Einigung und Regelung zur Weiterbelieferung abzuschließen."
Quelle: "Corporate News" von Solarworld vom 2.11.2015
Meine Einschätzung: Vor diesem Hintergrund ist die Einschätzung des operativen Geschäfts der Solarworld AG etwas in den Hintergrund gerückt. Jüngsten Zahlen (= Halbjahreszahlen) zufolge hat das Unternehmen im ersten Halbjahr 2015 ein Ebitda von +9,9 Mio. Euro (Vorjahreswert: +1,1 Mio. Euro) und ein Ebit von -12,2 Mio. Euro (Vorjahreswert: -19,1 Mio. Euro) vorweisen können. Eine ordentliche Verbesserung, allerdings ist auf Ebit-Basis noch zu zeigen, dass wieder schwarze Zahlen geschrieben werden können.
Aber: Vor dem Hintergrund der im genannten Prozess genannten Zahlen - Schadensersatzforderung in Höhe von mindest. 676 Mio. Dollar - "verblassen" sozusagen die operativen Zahlen, ob ein "Milliönchen" mehr oder weniger Ebit, wirkt da nicht besonders entscheidend. Nun bin ich kein Jurist und vermag nicht einzuschätzen, wie das US-Gericht urteilen wird.
Tendenziell negativ für Solarworld finde ich die Tatsache, dass a) das Gericht seinen Sitz am Firmensitz des Klagenden (Hemlock) hat und sich b) nun im Teilentscheid auch zugunsten des Klägers geäußert hat.
Ich denke, Solarworld sollte die Zeit nun wirklich nutzen, um mit Hemlock zu einer Einigung gelangen. Mit anderen Lieferanten hat das auch geklappt. Und Hemlock selbst hat ja auch wenig davon, wenn es den Konzern in die Insolvenz treibt - denn dann sieht es sein Geld auch nicht. Vielleicht gibt es da andere Möglichkeiten, zum Beispiel eine Neuemission von Solarworld-Aktien, mit denen Hemlock bezahlt wird. Das würde kein "Cash" kosten, sondern den Anteil der bisherigen Aktionäre verwässern.
Und dann ist mir aufgefallen, dass der Beklagte die "SolarWorld Industries Sachsen GmbH" ist. Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung - ist da die Mutter überhaupt uneingeschränkt haftbar zu machen? Hemlock selbst wollte sich zum laufenden Verfahren übrigens nicht äußern.
Mein Fazit: Solarworld - Kursverlauf hängt vom Prozess ab!
Wenn Sie mit der Solarworld-Aktie traden möchten, dann sollten Sie am besten nicht nur den Chart, sondern auch den Nachrichtenverlauf im Blick behalten. Denn Neuigkeiten zum laufenden Prozess können den Kurs kurzfristig sehr, sehr stark springen lassen - in die eine oder die andere Richtung. Wer da schnell reagiert - sprich, unmittelbar nach einer Veröffentlichung entscheidender Art zum Prozess -, der kann eine Menge Geld verdienen. Und hier rede ich sowohl von Long- als auch von Short-Möglichkeiten. Je nachdem, ob eine Entscheidung zu Gunsten oder zu Lasten von Solarworld ausfallen wird.
Mit herzlichem Gruß!
Ihr
Michael Vaupel