Die beiden Ökonomen Marcel Fratzscher und Clemens Fuest haben einen Umbau des deutschen Sozialstaats gefordert. "Wir benötigen ein grundlegendes Umdenken in unserer Bildungspolitik, mehr Steuergerechtigkeit, eine smartere Familienpolitik und müssen die Vergessenen der Arbeitsmarktreformen mitnehmen", sagte Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der "Welt am Sonntag."
Reformbedarf sieht Fratzscher insbesondere im Bildungssystem: "Es gibt zu wenige Betreuungsplätze, zu wenige Ganztagsschulen, und dies wird sich durch die Flüchtlingskrise noch einmal verschärfen." Auch Fuest fordert Reformen im Bildungssektor: "Wir bieten eine Uni-Ausbildung zum Nulltarif, verlangen aber Kindergartengebühren. Wir müssten es umgekehrt machen und mehr in den Vorschulbereich investieren", sagte der neue Chef des Münchener ifo-Instituts. Daneben müsse auch die Altersvorsorge "neu ausgerichtet" werden.
"Wir brauchen eine staatlich verpflichtende Vorsorge, bei der nur Bedürftige Zuschüsse erhalten und weniger die Mittelschicht", sagte Fuest. Uneins sind sich die beiden Ökonomen in der Frage, ob die Ungleichheit in Deutschland zu hoch ist. So widerspricht Fuest den Thesen in Fratzschers neuem Buch "Verteilungskampf". "Deutschland ist bei der Ungleichheit ein vergleichsweise unproblematisches Land", sagte Fuest.
Fratzschers These, aus dem "Wohlstand für alle" sei ein "Wohlstand für wenige" geworden, sei irreführend. "Und ich sehe die Gefahr, dass solche Thesen nur in eine ideologische Debatte münden, die sich gegen das markwirtschaftliche System als Ganzes richtet", so Fuest. "Wir sollten das deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft nicht schlechtreden. Es ist nicht tot, es lebt."
Fratzscher hingegen sagte: "Wir müssen unsere Scheuklappen ablegen nach dem Motto: Wir sehen nicht, was wir nicht sehen wollen. Denn die steigende Ungleichheit und der Verteilungskampf in unserem Land sind nichts, worauf wir stolz sein können."