Von Hans Bentzien
FRANKFURT/MÜNCHEN (Dow Jones)--Deutschland ist nach Berechnungen des Münchener Ifo-Instituts im vergangenen Jahr wieder Weltmeister im Kapitalexport gewesen. Der deutsche Überschuss in der Leistungsbilanz belief sich demnach auf 297 Milliarden US-Dollar (268 Milliarden Euro), entsprechend 8,6 (2015: 8,3) Prozent der Wirtschaftsleistung. Die EU hält maximal 6,0 Prozent für langfristig tragfähig. Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums bezeichnete den Überschuss als "hoch, aber nicht übermäßig". US-Präsident Donald Trump hat deutschen Unternehmen bereits mit hohen Einfuhrzöllen gedroht.
China nimmt laut Ifo-Institut mit einem Überschuss von voraussichtlich 245 Milliarden Dollar den zweiten Rang ein, während die USA mit einem Defizit von 478 Milliarden Dollar der größte Kapitalimporteur der Welt waren. Überschüsse in der Leistungsbilanz (Waren, Dienstleistungen, Zinsen, Löhne, Übertragungen) bedeuten Kapitalexporte, Defizite sind Kapitalimporte.
Ein Netto-Kapitalexport bedeutet, dass die inländische Ersparnis größer als die inländischen Investitionen ist und das Land Vermögen im Ausland aufbaut. Analog dazu impliziert ein Leistungsbilanzdefizit, dass ein Land mehr verbraucht als es produziert und sich im Ausland verschuldet.
Deutschlands Überschuss beruht vor allem auf Warenhandel
Nach Angaben der Münchener Konjunkturforscher lässt sich der deutsche Überschuss in der Leistungsbilanz vor allem auf den Warenhandel zurückführen. Allein dort wurde bis zum November ein Überschuss von 255 Milliarden Euro erzielt. Haupttreiber war die gestiegene Nachfrage aus den restlichen Ländern des Euroraums und aus den europäischen Ländern außerhalb der EU.
Die Auslandseinkommen waren bis zum November per Saldo positiv mit 53 Milliarden Euro. Deutschland erhielt damit netto Lohn- und Zinszahlungen aus dem Ausland. Dienstleistungen und Übertragungen trugen negativ mit 66 Milliarden Euro bei.
Der Anstieg des deutschen Netto-Auslandsvermögens zeigt sich vor allem bei der Zunahme an Wertpapieren, die Deutschland im Ausland erworben hat. Der Netto-Ankauf belief sich bis November auf 193 Milliarden Euro. Bei den Direktinvestitionen ergab sich dagegen lediglich ein positiver Saldo von 18 Milliarden Euro.
Das Defizit in der US-Leistungsbilanz ist vor allem durch den Warenhandel bedingt, bis zum dritten Quartal wurde für 557 Milliarden Dollar netto importiert. Per Saldo ist der Warenhandel insbesondere mit Asien stark defizitär. Aber auch gegenüber dem Euroraum ist der Saldo negativ.
Eurozone-Überschuss gegenüber USA vor allem wegen Deutschland
Dabei erklärt sich die Hälfte des Defizits gegenüber dem Euroraum laut Ifo-Institut durch den Nettoimport aus Deutschland. Darüber hinaus trugen bis zum dritten Quartal auch die Transfers mit 120 Milliarden Dollar negativ bei. Dienstleistungen und Auslandseinkommen waren per Saldo positiv mit 306 Milliarden Dollar.
Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums resultierten 2015 rund 44 Prozent des deutschen Leistungsbilanzüberschusses aus dem Handel mit den USA und Großbritannien. Die USA sind traditionell Verfechter des Freihandels. Der gerade ins Amt gekommene Präsident Donald Trump allerdings hat sich sehr kritisch zu Ländern geäußert, die hohe Überschüsse im Außenhandel mit dem USA erzielen, unter anderem Mexiko, China und Deutschland. So drohte er deutschen Autoherstellern mit hohen Einfuhrzöllen.
Auch EU-Kommission sieht deutschen Leistungsbilanzüberschuss kritisch
Kritisch sieht allerdings auch die EU-Kommission Deutschlands hohe Überschüsse. Sie betrachtet diese als Risiko für die wirtschaftliche Stabilität des Euroraums und drängt dessen größte Volkswirtschaft dazu, die Binnennachfrage zu stärken, um Einfuhren aus anderen Ländern anzuregen. Ein Verfahren wegen eines wirtschaftlichen Ungleichgewichts wurde bisher jedoch nicht eingeleitet.
Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums wollte die vom Ifo-Institut genannte Zahl nicht direkt kommentieren. Insgesamt könne sie sagen, "dass die Bundesregierung die Auffassung der EU-Kommission teilt, dass der deutsche Leistungsbilanzüberschuss als hoch einzustufen ist, aber kein übermäßiges Ungleichgewicht darstellt", sagte sie.
Der Leistungsbilanzüberschuss sei keine wirtschaftspolitische Steuerungsgröße, sondern das Ergebnis marktbestimmter Angebots- und Nachfrageentwicklungen, auf die politische Maßnahmen nur wenig Einfluss hätten. Die Sprecherin wies darauf hin, dass das Wirtschaftsministerium für 2017 wegen des höheren Ölpreises und der guten Binnennachfrage mit einem niedrigeren Leistungsbilanzüberschuss rechne.
Ökonom Weizsäcker schlägt Mehrwertsteuersenkung vor
Der renommierte Ökonom Carl Christian von Weizsäcker hat kürzlich vorgeschlagen, die deutschen Überschüsse über eine Senkung der Mehrwertsteuer zu reduzieren. "Dadurch würden Waren und Dienstleistungen in Deutschland billiger, Verbraucher und Unternehmen konsumierten mehr, auch Güter, die aus dem Ausland eingeführt werden", sagte Weizsäcker dem Spiegel.
(Mitarbeit: Stefan Lange)
Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com
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January 30, 2017 10:49 ET (15:49 GMT)
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