DÜSSELDORF (Dow Jones)--Die Einführung von Medikamenten vor der Prüfung ihres Nutzens für die Patienten ist nach Einschätzung des wichtigsten medizinischen Selbstverwaltungsgremiums in Deutschland einer der Nachteile des Gesundheitswesens hierzulande. Im Gespräch mit Dow Jones Newswires plädierte Rainer Hess, der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), zudem dafür, weiter einen Mittelweg zwischen einem rein wettbewerbsgetriebenen und einem rein staatlichen Gesundheitswesen zu verfolgen.
Der G-BA ist der Ausschuss der Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen und damit das oberste Gremium der medizinischen Selbstverwaltung. Er legt unter anderem fest, welche Leistungen von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. Damit sind seine Entscheidungen sehr wichtig für alle Versicherten und auch für die Industrie.
So steht Mitte Juli die Entscheidung darüber an, ob Altersdiabetes-Patienten auch künftig die so genannten Kunstinsuline erstattet werden. Einem Gutachten zufolge, auf das sich der Ausschuss stützen wird, ist ein Zusatznutzen nicht belegt, obwohl die Mittel schon seit rund zehn Jahren auf dem Markt sind. Weitere weit verbreitete Medikamente, deren Nutzen gegenwärtig untersucht wird und zu denen der Ausschuss Entscheidungen fällen wird, sollen zum Beispiel Demenz und Asthma lindern, sagt Hess.
Deutschland leiste sich anders als zum Beispiel Frankreich und England den Luxus, Medikamente zunächst auf den Markt zu bringen, und erst anschließend ihren Nutzen zu überprüfen. "Für die Zulassung reicht allein der Nachweis der Wirksamkeit. Bis zur Überprüfung des tatsächlichen Nutzens müssen sie dann von den Kassen bezahlt werden - zu einem Preis, den allein der Hersteller festsetzt", sagte Hess.
Das sei nicht nur teurer als eine rechtzeitige Nutzenbewertung, sondern es sei den Patienten auch schwieriger zu vermitteln, wenn bislang erstattete Präparate auf einmal wegen des fehlenden Nutzenbeleges nicht mehr bezahlt werden. Ärzte sollten künftig frühzeitig über den Nutzen neuer Arzneimittel informiert werden - zum Beispiel über die Vor- und Nachteile des gerade eingeführten inhalierbaren Insulins.
"Durch die verspätete Nutzenbewertung laufen wir der Entwicklung hinterher," gibt Hess zu bedenken. Er sieht allerdings gegenwärtig wenig Aussichten, dieses Verfahren noch zu ändern. Es gebe in der Politik allerdings Überlegungen, das Verschreiben sehr teurer Arzneien an bestimmte Qualifikationen zu koppeln - zum Beispiel kostspielige Krebsmedikamente nur noch von entsprechenden Onkologen verschreiben zu lassen.
Kritisch sieht Hess auch die weitgehende Freiheit zum Beispiel bei der Arztwahl. Versicherte könnten zum Beispiel mehrere Ärzte nacheinander aufsuchen, ohne dass diese voneinander wüssten. Verweigere ein Mediziner eine Leistung, könne der Patient zum nächsten gehen. Ob diese Wahlfreiheit positive Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung habe, werde nicht untersucht; entsprechende Daten hüteten die Kassen wie Betriebsgeheimnisse. Hess plädiert für eine striktere Bindung an den Hausarzt, der dann zum Beispiel mit Präventionsvorschlägen besser auf den Patienten einwirken könne.
Hess verteidigt die Nutzenbewertung vom Medikamenten gegen Kritik, schrittweise Verbesserungen von Arzneien, die für einzelne Patienten eine deutliche Verbesserung bedeuteten, würden nicht anerkannt und ebenfalls preislich gedeckelt. Es müsse durch ein neues Medikament mit höherem Preis zumindest für bestimmte Gruppen für Patienten eine signifikante Verbesserung geben. Ansonsten fehle das Geld für wirklich notwendige Therapien.
Der Vorsitzende des G-BA sieht auf das Gesundheitswesen zudem hohe Kosten durch neue Krebstherapien zukommen. Hier könne es keine generelle Entscheidung zum Sparen geben, sondern es sei eine genaue Prüfung im Einzelfall nötig. Einen ungedeckten Bedarf bei der Versorgung mit Medikamenten sieht er zudem vor allem bei speziell für Kinder zugelassenen Arzneien.
Hess sieht das Gesundheitswesen aber nicht nur vor neuen Schwierigkeiten, sondern auch vor Verbesserungen. So gebe es weltweit einen Trend zu mehr Transparenz im Gesundheitswesen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln sei zum Beispiel ein "Anker" für Informationen, die von der Industrie unabhängig sind.
- von Richard Breum, Dow Jones Newswires, +49 (0) 211 - 13872 15,
Richard.Breum@dowjones.com
DJG/rib/brb
Der G-BA ist der Ausschuss der Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen und damit das oberste Gremium der medizinischen Selbstverwaltung. Er legt unter anderem fest, welche Leistungen von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. Damit sind seine Entscheidungen sehr wichtig für alle Versicherten und auch für die Industrie.
So steht Mitte Juli die Entscheidung darüber an, ob Altersdiabetes-Patienten auch künftig die so genannten Kunstinsuline erstattet werden. Einem Gutachten zufolge, auf das sich der Ausschuss stützen wird, ist ein Zusatznutzen nicht belegt, obwohl die Mittel schon seit rund zehn Jahren auf dem Markt sind. Weitere weit verbreitete Medikamente, deren Nutzen gegenwärtig untersucht wird und zu denen der Ausschuss Entscheidungen fällen wird, sollen zum Beispiel Demenz und Asthma lindern, sagt Hess.
Deutschland leiste sich anders als zum Beispiel Frankreich und England den Luxus, Medikamente zunächst auf den Markt zu bringen, und erst anschließend ihren Nutzen zu überprüfen. "Für die Zulassung reicht allein der Nachweis der Wirksamkeit. Bis zur Überprüfung des tatsächlichen Nutzens müssen sie dann von den Kassen bezahlt werden - zu einem Preis, den allein der Hersteller festsetzt", sagte Hess.
Das sei nicht nur teurer als eine rechtzeitige Nutzenbewertung, sondern es sei den Patienten auch schwieriger zu vermitteln, wenn bislang erstattete Präparate auf einmal wegen des fehlenden Nutzenbeleges nicht mehr bezahlt werden. Ärzte sollten künftig frühzeitig über den Nutzen neuer Arzneimittel informiert werden - zum Beispiel über die Vor- und Nachteile des gerade eingeführten inhalierbaren Insulins.
"Durch die verspätete Nutzenbewertung laufen wir der Entwicklung hinterher," gibt Hess zu bedenken. Er sieht allerdings gegenwärtig wenig Aussichten, dieses Verfahren noch zu ändern. Es gebe in der Politik allerdings Überlegungen, das Verschreiben sehr teurer Arzneien an bestimmte Qualifikationen zu koppeln - zum Beispiel kostspielige Krebsmedikamente nur noch von entsprechenden Onkologen verschreiben zu lassen.
Kritisch sieht Hess auch die weitgehende Freiheit zum Beispiel bei der Arztwahl. Versicherte könnten zum Beispiel mehrere Ärzte nacheinander aufsuchen, ohne dass diese voneinander wüssten. Verweigere ein Mediziner eine Leistung, könne der Patient zum nächsten gehen. Ob diese Wahlfreiheit positive Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung habe, werde nicht untersucht; entsprechende Daten hüteten die Kassen wie Betriebsgeheimnisse. Hess plädiert für eine striktere Bindung an den Hausarzt, der dann zum Beispiel mit Präventionsvorschlägen besser auf den Patienten einwirken könne.
Hess verteidigt die Nutzenbewertung vom Medikamenten gegen Kritik, schrittweise Verbesserungen von Arzneien, die für einzelne Patienten eine deutliche Verbesserung bedeuteten, würden nicht anerkannt und ebenfalls preislich gedeckelt. Es müsse durch ein neues Medikament mit höherem Preis zumindest für bestimmte Gruppen für Patienten eine signifikante Verbesserung geben. Ansonsten fehle das Geld für wirklich notwendige Therapien.
Der Vorsitzende des G-BA sieht auf das Gesundheitswesen zudem hohe Kosten durch neue Krebstherapien zukommen. Hier könne es keine generelle Entscheidung zum Sparen geben, sondern es sei eine genaue Prüfung im Einzelfall nötig. Einen ungedeckten Bedarf bei der Versorgung mit Medikamenten sieht er zudem vor allem bei speziell für Kinder zugelassenen Arzneien.
Hess sieht das Gesundheitswesen aber nicht nur vor neuen Schwierigkeiten, sondern auch vor Verbesserungen. So gebe es weltweit einen Trend zu mehr Transparenz im Gesundheitswesen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln sei zum Beispiel ein "Anker" für Informationen, die von der Industrie unabhängig sind.
- von Richard Breum, Dow Jones Newswires, +49 (0) 211 - 13872 15,
Richard.Breum@dowjones.com
DJG/rib/brb
© 2006 Dow Jones News