Interview mit Heiko Thieme: Welche Branchen und welche Aktien jetzt kaufen?

Frage von Börsenbrief DER SPEKULANT an Heiko Thieme:
Welche Branchen oder welche Aktien würden Sie favorisieren in nächster Zeit?

Heiko Thieme:
Favorisieren würde ich die, die am meisten gefallen sind. Hierzu gehört der Finanzsektor. Denn ohne Finanzen und Finanzwerte können wir keine Wirtschaft aufbauen. Wir sind in einer globalen Rezession, d.h. rückläufiges Wachstum über zwei Quartale. Das dritte war das erste Negativ-Quartal. Das vierte wird sogar deutlich negativ verlaufen. D.h. für den Einzelhandel das denkbar ungünstigste Szenario schlechthin, denn das Weihnachtgeschäft ist über 50 % der gesamten Ertragslage des Einzelhandels im Gesamtjahr. Und das geht in die Hose. Wir werden negative Schlagzeiten im Januar sehen, wie furchtbar dieses war. Weihnachten findet im Grunde ohne Geschenke statt.

Den Weihnachtsbaum können wir uns leisten, aber die Geschenke nicht mehr. Das so als plakatives Argument. Und was würde ich zur Zeit empfehlen? Ich bin seit 36 Jahren im Börsengeschäft tätig, seit 1972, habe alle Berufe mitgemacht, vom Analysten, vom Marketingmann, vom Strategen, zum Fundmanager hin, zur Abwicklung im Backoffice. All diese Funktionen habe ich in irgendeiner Form in der Verantwortung einmal getragen. Ich glaube deswegen auch an das Händlerische.

Ich habe zum erstem Mal in meiner gesamten Karriere alle dreissig Dow Jones-Werte im Oktober auf meiner Kaufliste gehabt und 29 der DAX-Werte, bis auf die VW. Und diese Empfehlungsliste war so ungewöhnlich - nicht ein einziger Titel davon hat verloren und jeder Titel ist gestiegen seitdem, so dass man eigentlich sagen kann, das war ein Volltreffer. Nur dieser Volltreffer war eher theoretischer Natur. Die wenigsten Anleger oder Hörer meiner Hotline haben das mitgemacht, weil sich keiner traute. Ich nenne ein Beispiel: Die Deutsche Bank-Aktie stieg um +60 % in wenigen Tagen, die DB-Aktie ist ein Blue-Chip-Titel. Eine Allianz ist von 46 auf 69 gestiegen. Jetzt kann man die Allianz-Aktie wieder um 46 zurückkaufen, sofern man auch die Gewinne um 69 wahrgenommen hat. Es waren Gewinne vorhanden bei Qualitäts-Blue-Chips. Ich sage Qualitäts-Blue-Chip im Gegensatz zu einem Blue-Chip, wie einer General Motors, die für mich ein spekulativer Titel ist. Sie ist zwar Blue-Chip per Definition, weil sie noch Teil des Dow Jones ist, aber sie ist eine spekulative Aktie. Genau wie die Hypo Real Estate. Aber wenn ich Blue-Chips nehme, General Electric usw. , all die Werte sind gestiegen. Jetzt ist natürlich die Frage - das ist die Vergangenheit, wir schreiben den 22. November - was kann ich jetzt tun, was muss ich jetzt akut machen? Eine ganz simple Empfehlung für Ihre Leser: Nehmen Sie den DAX und Dow Jones, schauen Sie sich die Hoch- und Tiefkurse der vergangenen 12 Monate an. Wo ein Titel weniger als 10 % vom bisherigen Tiefstand entfernt ist, da können Sie ungesehen kaufen. 1/3 dessen, was Sie im Wert haben wollen. Der Titel muss von seinem Hochstand mindestens 50 % gefallen sein, weil wir uns in einer Börsenbaisse befinden. Ich suche Tiefstkurse aus und dann kaufe ich mich in drei Phasen ein. Ich kaufe erst 1/3, das nächste Drittel nach -10 bis -15 % weiteren Rückgangs und dann hoffe ich, dass ich noch eine dritte Chance habe, weitere -10 bis -15 % verliere, um mich dann voll einzukaufen. Wenn ich dann voll investiert bin, kommt die sogenannte Bet-Phase, wo Börsianer zwangsläufig religiös werden. Denn wenn es weiter fällt, dann habe ich kein Geld mehr. Ich muss hoffen, dass ich mit dieser Strategie richtig liege, aber ich habe dann einen Wert gekauft, wenn er schon -50 % gefallen ist, bevor ich in anfange zu kaufen und der fällt noch einmal -10 bis -15 %, dann noch mal -10 % bis -15 %, dann ist er von seiner Spitze über -70 % gefallen, bevor ich voll investiert bin.

Die Börsengeschichte zeigt, dass es ganz selten passiert, dass Sie einen Titel kaufen können, der mehr als -70 % von seinem Höchstpunkt gefallen ist. Wenn Sie dann einsteigen, haben Sie fast einen Garantieschein, dass Sie nach ein bis zwei Jahren, spätestens in drei Jahren zwar nicht den Höchstkurs unbedingt wieder erreicht haben, aber mindestens +50 % gewonnen haben. Und genauso dürfte es sich diesmal abspielen. Ob die Zeiträume, die gleichen sind, ob es 2 bis 3 Jahre dauert oder nur 1 bis 2 Jahre, das überlasse ich dann der Tücke der Entwicklung. Aber ich bin selten so optimistisch gewesen wie jetzt. Und mein Optimismus wird davon bestärkt, dass ich um mich herum sehr viele Pessimisten sehe.

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