Karlsruhe (ots) - oachim Gauck ist zweifelsohne ein besserer Redner als seine Vorgänger Christian Wulff und Horst Köhler. Aber hat er auch mehr zu sagen? Nach seiner ersten größeren Rede an die Deutschen ist da der eine oder andere Zweifel erlaubt. So historisch begründet sie war, so einfühlsam der Präsident die Ängste vor einem immer mächtigeren, immer anonymeren und immer undurchschaubarerem Europa auch aufgegriffen hat -was sich eigentlich ändern muss, damit die Europäische Union mehr ist als nur eine Wirtschaftsgemeinschaft mit gemeinsamer Währung, blieb auch in den 50 Minuten im Schloss Bellevue seltsam unklar. Mehr Vertrauen? Ja, gewiss. Mehr Verbindlichkeit? Natürlich. Nur wie? Perspektiven der europäischen Idee: Im Untertitel seiner Rede hat Joachim Gauck mehr versprochen als er am Ende halten konnte. Die erste größere Auseinandersetzung des neuen Bundespräsidenten mit dem großen Thema Europa war vor allem eine Auseinandersetzung mit der europäischen Idee, mit dem europäischen Wertekanon und dem allgemeinen Unbehagen über "die da" im fernen Brüssel. Welche Perspektive Europa in seinen Augen noch hat, ob es überhaupt noch mehr sein kann als ein Zweckbündnis, welche Rolle Deutschland in einem Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten und der unterschiedlichen Leistungsfähigkeiten spielen soll: Diesen Fragen ist Gauck weitgehend ausgewichen. Im Bemühen, der Kanzlerin nicht ins Tagesgeschäft hinein zu pfuschen, hat er sich zu sehr ins Allgemeine, Unverbindliche geflüchtet. Anderen Präsidenten ist es vor ihm nicht anders ergangen. Seit Roman Herzogs Ruck-Rede, von der streng genommen auch nicht mehr als ein berühmter Satz übrig geblieben ist, setzt das politische Deutschland seine Präsidenten dem subtilen Druck aus, mindestens einmal im Jahr eine große, wegweisende Rede halten zu müssen. Joachim Gauck hat mit seiner bildhaften, eingängigen Sprache, seinem leichten Hang zum Pathos und seiner unbekümmerten Direktheit zwar die seltene Gabe, die Menschen mit Worten packen zu können. Das aber heißt noch nicht, dass jede Rede von ihm eine für die Geschichtsbücher sein muss.
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