Berlin (ots) - Auf dem Höhepunkt von Jost-Gate wurde der Mann, der Wirtschaftsminister werden sollte, unsanft in den Aufzug gedrückt. Journalisten nahten. Ob Peer Steinbrück sich an die Demontage von einst erinnerte, als er die Design-Professorin Gesche Joost in sein Team berief? Ganz egal, wie qualifiziert ein Mensch ist - der Höllenritt durch den Parteiapparat bleibt keinem erspart. Jost Stollmann erfuhr das im Sommer 1998. Kanzlerkandidat Gerhard Schröder wollte US-Präsident Bill Clinton treffen, um Bilder mit internationaler Kompetenz zu produzieren. In der Delegation reiste auch Stollmann, einer der frühen Internet-Millionäre. In der Zeit des sich entfesselnden Neuen Marktes sollte er den unternehmungslustigen Teil der Gesellschaft anlocken, der traditionell weder SPD noch sonst eine Partei hilfreich findet. Unbefangen plauderte Stollmann gegen die deutsche "Vollkaskomentalität", kritisierte soziale Wohltaten und lobte amerikanische Risikofreude. "Ich muss mich shiften", erkannte Stollmann zwar. Doch diese Umstellung kam zu spät. Den Job im Ministerium trat er nie an. Wahlkampftaktisch mag es eine gute Idee sein, den gesellschaftserforschenden Berliner Teil der Republik abbilden zu wollen. Die Berliner Professorin Gesche Joost macht sich als Tripel-Quote ja auch gut: Frau, jung, modern - all das kann man von dem Schattenkabarettisten Klaus Klaus Wiesehügel nicht behaupten. Vielleicht wächst ja der erste Star dieses Wahlkampfes heran, der den Blick endlich nach vorn lenkt? SPD und Zukunft, das wäre mal was. Eher nicht. In einer unsinnsdebattenfreudigen SPD ist Jost-Gate II wahrscheinlicher. Denn die Frau passt womöglich nicht. Sie schliff sich nicht über Jahrzehnte in Logik und Rhetorik der Partei ab, sie kennt die Welt des hochrelevanten Zwischentons kaum. Wie mienenkundig ist die Professorin, wie durchdrungen von sozialdemokratischen Idealen? Theoretisch bietet Gesche Joost jedenfalls schon mal Spannung, mit zahllosen Aufsätzen zu Themen zwischen Mann und Frau, Mensch und Maschine. Zugleich arbeitet sie im Spannungsfeld Gesellschaftswissenschaft, wo sich viele Menschen unterhalb des Professorenrangs sehr konkret mit Eigenverantwortung, Wettbewerb, Scheinselbständigkeit, Zeitverträgen und prekärer Bezahlung herumschlagen - eben jene Lebenswirklichkeit hochqualifizierter Menschen in Kunst, Kultur und nicht-monetarisierbarer Forschung. Diese Welt aber findet im SPD-Programm nicht so richtig statt: Wo ist das Sozialsystem, das Millionen projektbasierter Arbeitsbiographien inkludiert statt sie absehbar mit einer Prekärrente zu bestrafen? Seit Brandts Zeiten hat die SPD sich schleichend von Künstlern und Wissenschaftlern und deren eigener Welt entfernt. Es gliche einem Wunder, wenn sich die junge Berliner Professorin nicht als Zeitzünderin erwiese. Die CDU erinnert sich an die Causa Kirchhoff. Hat die SPD denn niemanden, der in der Partei ebenso zuhause ist wie in Teilen der neuen Welt? Doch: Björn Böning, Planungsstabchef im Roten Rathaus. Er ist digital sozialisiert, einer der Strategen von Klaus Wowereit - und insofern kulturell wahrscheinlich etwas zu weit entfernt vom Kandidaten Steinbrück.
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