Berlin (ots) - Es gibt derzeit nur eines, was sich in Ägypten mit Sicherheit sagen lässt: Jeder Tote ist einer zu viel. Damit hören die Gewissheiten schon auf. Die Lage bleibt verworren, weil es viele Wahrheiten zu geben scheint: Die liberalen Kräfte in Kairo stellen sich hinter die Armee und verteufeln die Muslimbrüder. Die Muslimbrüder attackieren das Militär, weil es ihren frei gewählten Präsidenten aus dem Amt geputscht hat und Mohammed Mursi mithilfe obskurer Anschuldigungen inhaftieren ließ. Und die Generäle feiern sich wiederum als einzige Kraft, die die Sicherheit und Ordnung im Land wiederherstellen kann. In diesem Wirrwarr hat jeder recht und unrecht zugleich. Die westlichen Beobachter tragen nicht dazu bei, das politische Tohuwabohu aufzulösen. Sie wenden ihre zivilen Wertmaßstäbe auf den Nahen Osten an, halten das Militär an sich für böse, die Muslimbrüder für gefährlich und bauen auf die liberale Opposition, auch wenn sie zahlenmäßig nicht gerade beeindruckend ist. Ansonsten hoffen sie, dass zwischen den Pyramiden von Gizeh bald die Sonne der Demokratie scheinen werde, und sind aufgebracht, wenn sie die ersten Strahlen nicht gleich entdecken können. So einfach aber ist es nicht. Leider! Es ist eher wie folgt - frei nach Winston Churchill: Ägypten ist ein Rätsel, eingehüllt in ein Geheimnis inmitten eines Mysteriums. Das Land und seine Gesellschaft stecken voller Widersprüche. Die jüngsten Meinungsumfragen des angesehenen Pew Research Centers belegen es. Auf der einen Seite halten 73 Prozent aller Ägypter den Einfluss der Armee für segensreich. Auf der anderen Seite bewerten 63 Prozent das Wirken der Muslimbrüder positiv. Einerseits wünschen sich sechs von zehn Ägyptern eine Demokratie, andererseits hoffen 86 Prozent von ihnen, dass ihr Staat nach islamischen Gesetzen lebt. Wie das gehen soll, kann keiner erklären - genauso wenig, warum der liberale Hoffnungsträger und Friedensnobelpreisträger Mohammed al-Baradei beständig in der Gunst der Ägypter fällt. Nur über eines scheinen sich die Menschen am Nil klar zu sein: 92 Prozent sehen in Israel einen Feind. Weit über die Hälfte der Befragten will den Frieden mit dem Nachbarn sogar brechen. Was folgt aus alledem? Sicher, es wäre schön, wenn sich die Soldaten mit den Islamisten und Liberalen zusammensetzten und in einer großen Koalition nach nationaler Eintracht strebten. Doch scheint sich gegenwärtig eher ein Lamm zum Löwen zu legen, als dass die verschiedenen Gruppen des Landes in friedlicher Absicht aufeinander zugehen würden. Der Hass ist zu groß - ob es dem Westen gefällt oder nicht. Wie soll er sich in dieser Lage verhalten? Europa und den Deutschen bleibt derzeit nichts anderes übrig, als abzuwarten. Freilich sollten die Europäische Union und die Bundesregierung auf ihre - die westlichen! - Interessen achten. Drei davon stehen im Vordergrund. Sie lauten: Die Stabilität Ägyptens muss gewahrt bleiben, der Frieden mit Israel muss halten und der Suezkanal offen bleiben.
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