Karlsruhe (ots) - Bahnfahrer sind Kummer gewohnt: Nachdem die Flut im Juni auf etlichen Strecken die Gleise überspült hat, verlieren inzwischen auch die gutmütigsten Reisenden die Geduld. 50 Minuten Verspätung zwischen München und Berlin sind heute die Regel, nicht die Ausnahme. Jeder vierte Fahrgast im Ost-West-Fernverkehr kommt seit dem Hochwasser nur auf Umwegen an sein Ziel. So gesehen passt das Chaos am Mainzer Hauptbahnhof wie das berühmte Tüpfelchen auf das i zu einem Konzern, dem die Probleme längst über den Kopf gewachsen sind. Mit höherer Gewalt wie seinerzeit bei der Flut kann Bahn-Chef Rüdiger Grube sich diesmal jedoch nicht herausreden. Im Gegenteil. Wie schon beim Berliner Nahverkehrsdebakel vor vier Jahren, als die S-Bahn wegen eklatanter Wartungsmängel 200 von 500 Zügen aus dem Verkehr nehmen musste, sind auch die aktuellen Engpässe bei den Fahrdienstleitern hausgemacht - das Ergebnis eines falsch verstandenen Renditedenkens und einer bemerkenswert sorglosen Personalpolitik. Wäre die Bahn unter Grubes Vorgänger Hartmut Mehdorn tatsächlich an die Börse gegangen: Ihr Kurs befände sich trotz eines erwarteten Jahresgewinnes von zwei Milliarden Euro im freien Fall. Umso folgerichtiger ist es, wenn sich der Bahnchef jetzt bei den Kunden entschuldigt. Ein Unternehmen, das so von seiner Pünktlichkeit und seiner Zuverlässigkeit lebt wie die Bahn, lässt sich eben nicht wie eine Zementfabrik führen. Genau das aber hat der noch von Gerhard Schröder installierte Mehdorn getan, indem er kühl kalkulierend Werkstätten schließen ließ, indem er Tausende von Stellen strich, die Ausbildung jäh vernachlässigte und dem etwas naiven Glauben aufsaß, ein Stellwerk benötige heute vor allem eines: einen leistungsfähigen Rechner, der die Signale schaltet, die Weichen stellt und so für einen reibungslosen Verkehr sorgt. Welche Rolle der Faktor Mensch im modernen Bahnbetrieb noch spielt, zeigt nun ein halbes Dutzend kranker und verreister Mitarbeiter. Ohne sie geht, buchstäblich, nichts mehr. Anders als die Bahn es zunächst darzustellen versuchte, ist Mainz auch kein Einzelfall, sondern nur die Spitze des Eisberges. Alleine ihre 12 000 Fahrdienstleiter haben mehr als eine Million Überstunden angehäuft, gleichzeitig tut sich die Bahn schwer, neues Personal zu finden - sie ist als Arbeitgeber nicht attraktiv genug, und das liegt keineswegs nur an den unpopulären Wochenenddiensten und der Schichtarbeit, sondern auch am lädierten Ruf des Unternehmens. Wer wechselt schon in einen Betrieb, in dem das Missmanagement über Jahre Methode hatte? Dass Grube kein neuer Mehdorn ist, sondern ein Mann mit Augenmaß und Gespür, hat zwar das Binnenklima im Konzern verbessert. Der Berg an Problemen allerdings ist dadurch noch nicht niedriger geworden. Ganz unschuldig an Skandalen wie bei der Berliner S-Bahn oder jetzt, in Mainz, ist auch die Politik nicht. Ob Hans Eichel, Peer Steinbrück oder Wolfgang Schäuble - die dreistelligen Millionenbeträge, die die Bahn dem Bund Jahr für Jahr an Dividende überweist, hat bisher noch jeder Finanzminister dankend angenommen. Sie sind, wenn man so will, die lukrative Hinterlassenschaft von Hartmut Mehdorn, der den trägen Staatskonzern konsequent auf Profit getrimmt, dabei aber den Faktor Mensch nicht beachtet hat.
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