Regensburg (ots) - Als vor einer Woche das Wahlergebnis in Deutschland bekanntwurde, glaubten die wahlkämpfenden Großparteien in Österreich beide, Aufwind zu spüren. Die Deutschen hätten "die Schuldenpolitik abgewählt", interpretierte der Christdemokrat Michael Spindelegger das Resultat im Nachbarland. Sein Gegenspieler, der sozialdemokratische Kanzler Werner Faymann, meinte dagegen, die Deutschen hätten sich für Kontinuität entschieden. Faymann hatte Recht, mehr jedenfalls als sein Herausforderer. Hier wie dort ging es nicht wirklich um Mindestlohn und Millionärssteuer oder darum, ob das Thermometer der sozialen Wärme nun 16 oder 17 Grad zeigt. In beiden Ländern fürchtet man sich viel mehr vor der großen Gewitterwand, die da in Europa aufzieht, und vor dem nachfolgenden Temperatursturz. "Mit sicherer Hand durch stürmische Zeiten": Der zentrale Wahlslogan der SPÖ traf den Nerv. Aus den 40 von 68 Nachkriegsjahren, die Österreich schon von einer großen Koalition regiert wird, werden nach dem gestrigen Wahlkampf wohl 45 werden und aus den 38 Jahren sozialdemokratischer Kanzlerschaft 43. Das Wahlergebnis vom Sonntag zeigt aber auch: Schon jetzt leidet das Land an Großkoalitionitis im fortgeschrittenen Stadium. Die wichtigsten Symptome der Krankheit sind Gleichgültigkeit, Stillstand und dauernde Versteifung. SPÖ und ÖVP mussten gegen einander wahlkämpfen, um nachher miteinander koalieren zu können. Beide Parteien haben das Kunststück hinter sich gebracht, ohne einander allzu sehr zu beschädigen. Der Betrogene dabei ist aber der Wähler. Ausgerechnet die Themen nämlich, über die beide Regierungsparteien uneins sind und mit denen sie um Stimmen werben, bleiben in der nächsten Regierung zuverlässig unerledigt - zum Beispiel die große Schulreform, wie die SPÖ sie will. Weil alle Parteien das wissen, können alle ohne Furcht vor Konsequenzen mit ihren Lieblingsthemen herumspielen. Eine "Entfesselung der Wirtschaft" versprach Herausforderer Spindelegger von der ÖVP im Wahlkampf, wo er sich doch darauf verlassen konnte, dass die mittelständischen Funktionäre seiner eigenen Partei auch weiterhin auf allen Ebenen still und effizient für Subventionen und gegen neue Konkurrenz kämpfen werden. Die Sozialdemokraten dagegen warben mit viel roter Farbe für vermögensbezogene Steuern, die sie selbst mit abgeschafft hatten. In einer großen Koalition muss man sich für solche Widersprüche nicht rechtfertigen wie die SPD für die Hartz-Reformen. Es ist alles irgendwie so gekommen, und im Zweifel war jeweils der andere schuld. Große Koalitionen stärken die Ex-treme, heißt es. So war es auch in Österreich in einem ersten Stadium der Krankheit, als die rechte FPÖ mit ihrem Jörg Haider von Wahl zu Wahl immer rechter und immer stärker wurde. Aber als die große Koalition in Österreich chronisch wurde, ließ die Partei jede Hoffnung auf Verwirklichung ihres Programms fahren und verlegte sich ganz darauf, die Wähler in ihren Affekten zu bestätigen. Eine Heilungschance ist nicht in Sicht. Die Parteien der großen Koalition haben gestern zusammen gerade noch 50 Prozent der Stimmen bekommen; vor fünf Jahren waren es noch 55 Prozent. Sollten sie nach weiteren fünf Jahren unter 50 Prozent fallen, so wäre das noch lange nicht das Ende der großen Koalition. Im Gegenteil: Es wäre der Beginn der riesengroßen. Schon in den letzten Jahren haben sich die Grünen in die Rolle des dritten Partners eingeübt. Vor dem Gewitter rücken alle gern zusammen. Am Ende streiten auch in Europa nicht mehr Parteien, sondern nur noch Nationen miteinander. Beruhigen kann das nicht.
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