Regensburg (ots) - Eine Niederlage ist schlimm, aber nicht zu wissen, wie man aus der Misere wieder heraus kommt, ist schlimmer. Es war wohl der Instinkt des politischen Alphatiers Sigmar Gabriel, der ihn kurz vor Abschluss des Leipziger Parteitages zu seinem eigentlichen, zu seinem großen Auftritt ans Mikrofon trieb. Gabriel hat den SPD-Kongress regelrecht "gerockt". Das war aber auch nötig. Denn die Veranstaltung drohte, in Unzufriedenheit, Ratlosigkeit und - schlimmer noch - Orientierungslosigkeit zu Ende zu gehen. Die ehrwürdige 150-jährige Sozialdemokratie ist heute eine Partei, die sich ihrer selbst nicht sicher ist, die eine Wahl vergeigte, bei der sie glaubte, das richtige Programm zu haben, das vielleicht nur vom falschen, tollpatschigen Kandidaten vertreten wurde. Nun weiß sie nicht, ob sie lieber Wundenlecken und opponieren oder doch lieber auf dem Beifahrersitz der Macht neben Kanzlerin Angela Merkel Platz nehmen und wenigstens etwas von der Gerechtigkeits-Agenda umsetzen sollte. Gabriel musste in der jetzigen sozialdemokratischen Schwebephase eine aufrüttelnde Rede halten und rote Linien für eine Große Koalition ziehen. Einerseits für die Partei selbst, die nach bislang recht ergebnislosen Verhandlungen frustriert ist. Andererseits als Signal an die Union: Wenn ihr euch jetzt nicht bewegt, können wir die Veranstaltung auch platzen lassen. Dabei ist Gabriels Hebel sogar länger als der von Merkel. Notfalls könnte die SPD ja mit Grünen und Linkspartei regieren, was die Sozialdemokraten freilich zerreißen und vollends in den Abgrund reißen würde. Die Union hat dagegen kaum eine andere Wahl als Schwarz-Rot. Denn dass Merkel und Seehofer mit der grünen Selbstfindungspartei koalieren könnten, ist fast noch unwahrscheinlicher als Rot-Rot-Grün, bei dem freilich auch Vieles nicht zusammenpasst. Seit Leipzig weiß Merkel nun, dass der "Preis" für ihre nächste Kanzlerschaft nicht nur ein flächendeckender Mindestlohn sein wird, sondern auch der Doppelpass für hier geborene Kinder von Einwanderern. Bei Lichte betrachtet wird allerdings klar, wirklich unüberwindbare Hürden für eine Groß-Koalition sind diese beiden Forderungen der Sozialdemokraten beileibe nicht. Sie haben zudem den Vorzug, dass sie den Staat kaum Geld kosten. Das ist bei vielen Unions-Wahlgeschenken anders, bei einigen weiteren Punkten aus dem Forderungskatalog der SPD auch. In den nächsten beiden Wochen stehen in Berlin beinharte Verhandlungen an. Ob es wirklich zu Schwarz-Rot kommt, ist längst noch nicht ausgemacht. Noch kann die großkoalitionäre Zweckehe auf dem Weg zum Standesamt scheitern. Gabriel einerseits kann nicht hinter die roten Linien von Leipzig zurückgehen. Er wäre blamiert bis auf die Knochen und als Parteichef nicht mehr zu halten. Die Union andererseits wird sich von dem 25-Prozent-Juniorpartner nicht erpressen lassen wollen. Schon murrt es auch bei CDU und CSU. Der Schwanz dürfe nicht mit dem Hund wedeln, echauffiert sich vor allem der Wirtschaftsflügel der Union. Selbst das Mantra der Union - keine Steuererhöhungen und keine neuen Schulden - ist noch nicht in trockenen Tüchern.
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