Cottbus (ots) - Wer Michail Chodorkowski gestern in Berlin beobachtet hat, der hat keinen gebrochenen Mann erlebt. Zehn Jahre Lagerhaft haben den 50-Jährigen offenbar nicht vollends verzweifeln lassen. In der Euphorie um seine Freilassung muss aber auch daran erinnert werden, dass der Großkapitalist und Ölmagnat absolut kein Heiliger gewesen ist. Viele Russen sind nach wie vor davon überzeugt, dass er seinen einst unfassbaren Reichtum nicht allein mit legalen Mitteln, sondern schlichtweg auf ihre Kosten erlangt hat. Gänzlich unkritisch darf man die Person Chodorkowski also nicht sehen. Dennoch könnte er jetzt zur Symbolfigur für zigtausend politische Gefangene weltweit werden, die vielfach in Vergessenheit geraten sind. Und deren Schicksale leider die internationale Diplomatie weit weniger berühren als das Unglück des ehemaligen Gegenspielers von Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Es ist gut, dass der Kreml-Kritiker angekündigt hat, seinen Ruhm und seine Kampfkraft dafür einsetzen zu wollen, an diese Menschen zu erinnern. Hoffentlich hält er Wort. Schließlich hat die Welt genügend Despoten, aber viel zu wenig Aufrichtige. Dem autokratisch regierten Russland würde es überdies nur gut tun, sollte Chodorkowski sich irgendwann dazu entscheiden, dort wieder politisch tätig zu werden. Doch, weil er um die Risiken weiß, wenn er Putin aufs Neue reizt, dürfte dieses Duell auf lange Zeit nur aus der Ferne geführt werden. Von wo aus, ist offen. Das Verhältnis Angela Merkels zu Putin ist angespannt. Die Kanzlerin wird somit kein Interesse daran haben, dass Chodorkowski künftig von Deutschland aus handelt. Sie hat sich zwar für ihn eingesetzt, aber anders als bei der Band Pussy Riot auch immer kritische Distanz zum Fall Chodorkowski gewahrt. Wohl wissend um die Vorgeschichte des Milliardärs. Das hat zugleich aber den nötigen Raum geschaffen für Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, um hinter den Kulissen mit diplomatischem Geschick und klarer Linie die schwierigsten Steine für eine Freilassung Chodorkowski aus dem Weg zu räumen. Er konnte die Wege gehen und die Drähte benutzen, die nur dann zur Verfügung stehen, wenn man im Inoffiziellen agiert. Mit Erfolg, wie sich gezeigt hat. Bleibt die Frage, welchen Einfluss jetzt die Causa Chodorkowski auf das deutsch-russische Verhältnis haben wird. Die Antwort darauf ist banal: keinen. Die Aufgeregtheiten des Westens haben Putin noch nie interessiert. Und wenn es darauf ankommt, sind die wirtschaftlichen Beziehungen mit Moskau immer noch wichtiger gewesen als das konsequente Drängen auf mehr Rechtsstaatlichkeit in Russland, oder auf die Einhaltung der Menschen- und Bürgerrechte. Das ist leider nun mal die politische Realität.
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