Der oberste deutsche Medizinkontrolleur Jürgen Windeler hat den Sinn vieler Vorsorgeuntersuchungen in Arztpraxen infrage gestellt. Nach wissenschaftlichen Kriterien seien unter anderem die Tastuntersuchung nach Prostatakrebs, der regelmäßige allgemeine Check-up und das Hautkrebs-Screening fragwürdig, sagte der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) der "Berliner Zeitung" (Samstag). Die Patienten müssten sich darüber im Klaren sein, dass es bei den Vorsorgeuntersuchungen auch um handfeste ökonomische Interessen der Ärzte gehe.
Windeler verlangte eine nüchterne Debatte über Sinn und Zweck der Angebote sowie eine bessere Information über Vor- und Nachteile. "Den Versicherten wird mit einigen Kampagnen ja geradezu ein schlechtes Gewissen eingeredet, wenn sie nicht zu einer Früherkennung gehen. Prominente, die vermutlich nicht wissen, was sie da tun, werden für Werbung eingespannt." Nutzen und Schaden derartiger Untersuchungen lägen jedoch häufig dicht beieinander.
Konkret begründete Windeler seine Warnung nicht. Andere Kritiker argumentieren aber immer mal wieder, dass es bei Vorsorgeuntersuchen auch zu Fehldiagnosen komme, im schlimmsten Falle auf Grund einer Fehldiagnose sogar operiert werde, sich die Gesundheitskosten langfristig aber dennoch nicht senken ließen.
Das Bundesgesundheitsministerium verwies am Samstag auf dpa-Anfrage darauf, dass der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Kassen und Kliniken entscheidet, welche Leistungen von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. Dies geschehe auf wissenschaftlicher Grundlage.
Ein Sprecher der Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen sagte der Nachrichtenagentur dpa, der Leistungskatalog der Kassen umfasse ein breites Spektrum an Vorsorgeuntersuchungen. "Das Problem bei vielen darüber hinausgehenden Zusatzleistungen von Ärzten ist, dass sie mehr dem Portemonnaie des Arztes dienen als der Gesundheit des Patienten."
Die gesetzlichen Kassen übernehmen eine Reihe von Vorsorgeuntersuchungen, darunter diverse für Kinder und Jugendliche, alle zwei Jahre ein Hautkrebsscreening für Männer und Frauen ab 35 sowie verschiedene andere zur Krebsfrüherkennung. Anspruch auf einen allgemeinen Check-up haben Patienten ab einem Alter von 35 Jahren alle zwei Jahre.
Darüber hinaus bieten viele Ärzte sogenannte individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) an, die Patienten selbst zahlen müssen. Dazu zählen Ultraschalluntersuchungen der Brust zur Krebsvorsorge, Untersuchungen zur Früherkennung von Grünem Star (Glaukom) oder die Professionelle Zahnreinigung bei Erwachsenen, die nicht an Paradontitis leiden. Nach Einschätzung der gesetzlichen Kassen bringen die meisten solcher Angebote keinen erwiesenen Nutzen, die Ärzte sehen das anders.
Erklärtes Ziel der Politik ist mehr Gesundheitsvorsorge. Nach dem Scheitern eines Präventionsgesetzes in der letzten Legislaturperiode im Bundesrat plant die schwarz-rote Koalition nun einen neuen Anlauf. Im Koalitionsvertrag verständigten sich CDU, CSU und SPD darauf, die Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern und die ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen bei Erwachsenen zu "stärken". Die Kassen sollen deutlich mehr für Vorsorge ausgeben als bisher.
Das IQWiG mit Sitz in Köln untersucht als unabhängiges wissenschaftliches Institut den Nutzen und den Schaden medizinischer Maßnahmen für Patienten. Es arbeitet im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses und des Gesundheitsministeriums./kr/DP/stk
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