Bielefeld (ots) - Wladimir Grinin ist um seine Aufgabe nicht zu beneiden. Der russische Botschafter in Berlin muss vorzugsweise in Fernseh-Talkshows die Ukraine-Politik seines Landes verteidigen. Jetzt hat der Diplomat die Contenance verloren und von »Russland-Hass« in den deutschen Medien gesprochen. Und wenn der »Spiegel Online«-Kolumnist Jan Fleischhauer den russischen Präsidenten Wladimir Putin einen »Postfaschisten« nennt, könnte man Grinins Gedanken zumindest ansatzweise folgen. Womit der Botschafter richtig liegt: Die Diskrepanz zwischen öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung ist erstaunlich. Während Regierungspolitiker und Medien scharfe Kritik an Russlands Vorgehen in der Ukraine äußern und Sanktionen für sinnvolle Strafmaßnahmen halten, unterscheidet sich die Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung deutlich davon. Beeinflussen Putin-Versteher wie Gerhard Schröder und Helmut Schmidt die öffentliche Meinung? Oder drücken sie nur das aus, was eine deutliche Mehrheit der Deutschen ohnehin denkt? Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung standen beim Konflikt um die Krim politisch eher auf russischer Seite als auf der Seite Europas - inklusive Deutschlands. Das muss Gründe haben, die tiefer liegen. Mutmaßlich in der vielzitierten Seelenverwandtschaft der beiden Völker. Für das deutsche Bildungsbürgertum ist die Krim beinahe ein Sehnsuchtsort, zumindest ein wohlbekannter Kulturraum - von Anton Tschechows Erzählung »Die Dame mit dem Hündchen« bis zu Sergei Eisensteins Stummfilm »Panzerkreuzer Potemkin« über die meuternde Besatzung eines Kriegsschiffs der zaristischen Schwarzmeerflotte. Zum Bezug zur Krim trägt auch die Jalta-Konferenz bei. Dort legten die alliierten Staatschefs Franklin D. Roosevelt, Josef Stalin und Winston Churchill im Februar 1945, drei Monate vor Kriegsende, die Aufteilung Deutschlands fest. Nach jahrzehntelanger Romantisierung Russlands durch Reportagen der ARD-Korrespondenten Klaus Bednarz (»Die Ballade vom Baikalsee«) und Gerd Ruge (»Sibirisches Tagebuch«) fühlen sich viele Deutsche der russischen Seele so nah, das eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn als Traumreise gilt. Neben diesen emotionalen Faktoren sind viele Leute von Putin als Persönlichkeit fasziniert. Nur der russische Präsident scheint einen Plan zu haben und diesen zu verfolgen. Dass Russland vermeintlich aus einer Position der Stärke agiert, kommt offenbar so gut an, dass die Verletzung des Völkerrechts kaum ins Gewicht fällt. Die am Wochenende erreichte Freilassung der Militärbeobachter, die ohne russische Hilfe kaum zustandegekommen wäre, wird Putins Image in Deutschland gewiss nicht abträglich sein. Doch im zunehmenden Chaos in der Ostukraine muss sich erst noch erweisen, ob er dort tatsächlich noch etwas zu sagen hat.
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