Bielefeld (ots) - Die 298 Todesopfer des Flugs MH 17 haben nicht ausgereicht, um Russland zur Vernunft zu bringen. Man kann es nicht mehr anders sagen: Wladimir Putin will keinen Frieden im Osten und Südosten der Ukraine. Sein Ziel ist es, die Region zu kontrollieren: wegen eines Landzugangs zur annektierten Krim, deren Versorgung sich schwierig gestaltet, und wegen der Rüstungsindustrie in der Ostukraine, die Russlands Armee maßgeblich beliefert hat. Außerdem will Russlands Präsident an seinen Grenzen keinen Staat, der sich zu einer funktionierenden Demokratie entwickeln könnte. Zugegeben: Davon ist die Ukraine als Oligarchengesellschaft mindestens ein Jahrzehnt entfernt. Doch offenbar stellt allein der Versuch einer Transformation gen Westen für Putins neozaristische Herrschaft eine Bedrohung dar - nach innen wie nach außen. Seine Taktik hat der des Iran in der Atomfrage geglichen: konstruktive Lösungen verbal vortäuschen und gegensätzlich handeln. Mittlerweile gehen Rhetorik (»Neurussland«) und umgesetzte Politik jedoch Hand in Hand. Die ins Gespräch gebrachte Eigenstaatlichkeit der Ostukraine wäre wohl nur ein Zwischenschritt auf dem Weg ins russische Reich. An die Annexion der Krim hat sich der Westen gewöhnt. Aus Schwäche nehmen das in der Sache gespaltene Europa und die geostrategisch orientierungslosen USA jede militärische Eskalation von russischer Seite hin. Mit wortreicher Empörung, aber politisch ohnmächtig und militärisch zahnlos. Es ist nicht zu erwarten, dass sich beim Nato-Gipfel in Wales daran etwas ändern könnte. Jedenfalls klingt der Vorschlag einer Osteuropa-Eingreiftruppe nach politischem Placebo für Polen und die baltischen Staaten. Das Dilemma: Die Situation lässt sich ohne Russland nicht befrieden, aber mit Russland eben auch nicht. Sanktionen sind bislang die einzigen Instrumente, mit denen der Westen auf die Aggression reagiert. Ihre Wirkung ist begrenzt. Nach Putins jüngsten Aussagen sollten wir uns auf eine längere Phase belasteter Beziehungen zu Russland einstellen. Das hat auch wirtschaftliche Konsequenzen - von Energielieferungen bis zu Exporten. Am Ende könnten die Folgen des neuen Ost-West-Konflikts auch das Null-Schulden-Ziel der Regierung treffen, weil die Konjunktur im Zuge der Krise erlahmen könnte. Europa muss die Welt neu denken. In diesem Jahr des Gedenkens an die Ausbrüche der beiden Weltkriege liegen historische Vergleiche vermeintlich nah. Nicht jede Parallele trifft zu. Aber »Die Schlafwandler«, Titel der Erster-Weltkrieg-Interpretation des Historikers Christopher Clark, könnte es zum Wort des Jahres schaffen - und Europas zögerliches Verhalten in der Ukraine-Krise auf den Punkt bringen. Sicher ist eines: Die Schlafwandler werden nicht aus einem Albtraum erwachen, sondern von der Wirklichkeit geweckt.
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