Von Gabriele Steinhauser, Matthew Dalton und Stephen Fidler
BRÜSSEL-Die Europäische Union bereitet sich laut Insidern offenbar darauf vor, den französischen Budgetentwurf für 2015 durchfallen zu lassen. Es wäre der erste große Streit der Kommission unter dem neuen Präsidenten Jean-Claude Juncker mit einem wichtigen EU-Land und ein erster Test, wie entschieden Europa künftig mit Defizitsündern umgehen will.
Es ist ein Streit mit Ansage: Im vergangenen Monat kündigte Frankreichs Finanzminister Michel Sapin an, dass sein Land 2015 ein Haushaltsdefizit einplanen werde, das 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt - deutlich mehr als die ursprünglich einmal für 2015 versprochenen 3 Prozent, die in der EU ohnehin als Ziel des Stabilitätspaktes gelten. Dabei hatte das Land wegen der Konjunkturschwäche in Europa bereits zwei Jahre mehr Zeit als ursprünglich vereinbart, um das Stabilitätsziel der EU zu erreichen.
Erschwerend kommt hinzu, dass aus Brüssel Sicht offenbar die Sparanstrengungen von Paris zur unzureichend sind. Rechnet man dabei die Effekte der schwachen französischen Konjunktur heraus, will Frankreich lediglich Kosten in Höhe von 0,2 Prozent des BIP einsparen - ebenfalls deutlich unter den 0,8 Prozent, die Paris ursprünglich zugesagt hatte.
Damit verstieße Frankreich eindeutig gegen die Stabilitätsregeln der EU, was dazu führen könnte, dass Brüssel den Haushaltsentwurf der Grande Nation wieder nach Paris zur Überarbeitung zurückweist. Bislang hat die Regierung von Ministerpräsident Manuel Valls aber angekündigt, keine weiteren Sparanstrengungen unternehmen zu wollen.
Offenbar verschont auch der gewichtige Status Frankreich nicht mehr vor dem politischen Eklat. "Hier herrscht jetzt die politische Bereitschaft, die großen Jungs in Brüssel dabei zu unterstützen, den Entwurf aus Paris durchfallen zu lassen", sagt ein ranghoher EU-Vertreter, der namentlich nicht genannt werden möchte.
Der Streit mit Paris könnte zudem noch begleitet werden von einer vergleichbaren Auseinandersetzung mit Italien. Die neue italienische Regierung unter Ministerpräsident Matteo Renzi hat nämlich ebenfalls bereits angekündigt, die Budgetziele verfehlen zu wollen. Bei Italien könnte die Kommission zwar noch etwas mehr Verhandlungsspielraum zeigen, weil die Regierung in Rom in der Vergangenheit geringere Defizitverfehlungen aufwies als Frankreich. Doch ein ranghoher weiterer EU-Vertreter nannte den Fall Italien auf jeden Fall "grenzwertig."
Auf dem Spiel steht dabei die Glaubwürdigkeit Brüssels. Wenn Paris und Rom die Budgetregeln ungestraft verletzen dürften - so wie das Deutschland und Frankreich vor einem Jahrzehnt schon einmal taten - so könnte das den europäischen Stabilitätspakt ad absurdum führen. "Was viele Leute nicht unterschätzen sollten ist die Tatsache, dass die Glaubwürdigkeit des gesamten Paktes auf dem Spiel steht", sagte der erste Informant.
Frankreich und Italien argumentieren demgegenüber, dass es keinen Sinn mache, die ohnehin schon schwächelnden Wirtschaften ihrer Länder durch weitere Sparanstrengungen noch weiter abzuwürgen. Erst müsse das notwendige Wachstum gesichert werden, bevor weitere Sparanstrengungen unternommen werden könnten. Der EU-Kommission ist zudem bewusst, dass sowohl in Frankreich als auch in Italien extreme und euro-feindliche Parteien durch eine Zurückweisung der Haushaltsentwürfe weiteren Auftrieb erhalten würden.
Dennoch scheint in Europa die Bereitschaft zu wachsen, die Regeln strikter umzusetzen. Offiziell wollte sich dazu aber am Sonntag niemand äußern. Ein Sprecher der deutschen Regierung wollte die Angelegenheit nicht kommentieren. Kanzlerin Angela Merkel hatte lediglich angekündigt, Deutschland werde die Kommission unterstützen und keine eigene Bewertung des französischen Haushaltsentwurfs vornehmen.
Ein Sprecher des französischen Finanzministeriums verwies auf Aussagen von Frankreichs Finanzminister Michel Sapin vom Sonntag. "Wir befinden uns in einer Phase, die der über eine Änderung der wirtschaftlichen Grundsätze in Europa nachgedacht werden muss", hatte Sapin dem französischen Radiosender Europe 1 gesagt. "Wir wollen nicht die Regeln ändern. Wir wollen diese Regeln und den Vertrag, den wir unterzeichnet haben. Die Regeln müssen aber für alle in der gleichen Weise gelten - für große wie für kleine Länder."
Mitarbeit: William Horobin in Paris und Eyk Henning in Frankfurt
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October 05, 2014 16:06 ET (20:06 GMT)
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