70 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz will eine große Mehrheit der Deutschen die Holocaust-Geschichte hinter sich lassen. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage der Bertelsmann Stiftung zu den deutsch-israelischen Beziehungen hervor.
Die Studie "Verbindende Vergangenheit, trennende Gegenwart" liegt "Bild am Sonntag" exklusiv vor. Demnach möchten 81 Prozent der Befragten die Geschichte der Judenverfolgung "hinter sich lassen" und sich gegenwärtigen Problemen widmen. Einen regelrechten Schlussstrich wollen immerhin 58 Prozent der Befragten ziehen. Bei den 40- bis 49-Jährigen ist es jeder Zweite; bei den über 60-Jährigen hingegen 61 Prozent.
Anders sieht es in Israel aus: Dort wollen nur 22 Prozent mit der Vergangenheit abschließen. Weitere Ergebnisse der Studie: Fast die Hälfte der Deutschen (48 Prozent) hat eine schlechte Meinung über Israel, 36 Prozent eine gute. In Israel hingegen haben 68 Prozent eine positive Meinung zu Deutschland, so viel wie nie zuvor. Nur knapp jeder Vierte (24 Prozent) sieht Deutschland negativ.
Jüngere Israelis sehen Deutschland kritischer als ältere: Von den unter 30-Jährigen haben nur 53 Prozent ein positives Urteil. Bei den über 50-Jährigen sind es 80 Prozent. Der Nahost-Konflikt bestimmt die deutsche Wahrnehmung von Israel stark. Allerdings sehen die Deutschen dabei nicht mehr allein Israel in der Verantwortung. Anfang der 90er-Jahre hatte noch jeder vierte Bundesbürger gefordert, die Israelis müssten im Konflikt mit den Palästinensern nachgeben. Heute sagt dies nur noch jeder sechste. 73 Prozent der Deutschen finden, Israelis und Palästinenser müssten aufeinander zugehen. Das glauben auch 53 Prozent der Israelis. Bei der Rolle Deutschlands im Nahost-Konflikt gehen die Meinungen auseinander: So erhoffen sich 84 Prozent der Israels von der Bundesregierung eine politische Unterstützung ihrer Position. Jeder zweite Deutsche (51 Prozent) ist dagegen. 82 Prozent der Israelis wünschen sich deutsche Waffenlieferungen an ihr Land. 68 Prozent der Deutschen lehnen dies ab. Stephan Vopel, Leiter der Studie und Israel-Experte der Bertelsmann Stiftung: "Israelis und Deutsche haben unterschiedliche Schlüsse aus der Geschichte gezogen. Für die Deutschen gilt die Maxime 'Nie wieder Krieg', für die Israelis heißt es 'Nie wieder Opfer'." Mit Blick auf jüngere Generationen sei die Studie ein Warnsignal: "Wir müssen mehr Gelegenheiten für direkte Begegnungen zwischen den Jugendlichen beider Länder schaffen."