
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--Die deutsche Wirtschaft hat alarmiert auf den neuen Lokführerstreik bei der Bahn reagiert. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte vor hohen Schäden durch den Streik, der Außenhandelsverband BGA zeigte sich "verständnislos und bestürzt", und auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) äußerte heftige Kritik. Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) will den Güterverkehr für knapp drei Tage von Dienstag, 15.00 Uhr bis Freitag, 9.00 Uhr bestreiken.
"Der erneute Streik der GDL trifft nicht nur die Industrie und ihre Unternehmen, sondern nimmt das ganze Land in Beschlag", erklärte das Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung, Dieter Schweer. "Die GDL handelt verantwortungslos und hat jedes Augenmaß verloren." Bei durchgängigen Streiks sind nach Ansicht des BDI in der Industrie empfindliche Produktionsausfälle zu erwarten. Streikbedingte Schäden könnten "von einstelligen Millionenbeträgen schnell auf bis zu 100 Millionen Euro Schaden pro Tag anwachsen", warnte Schweer.
Der Streik trifft nach seiner Einschätzung besonders hart solche Branchen, die mit ihrer Logistik weitgehend auf die Bahn angewiesen sind und ihre Transporte nicht auf andere Verkehrsträger verlagern können. Das seien neben Chemie-Gefahrguttransporten zum Beispiel auch Rohstoffanlieferungen für Stahlfirmen und Transporte der Autobranche in die Exporthäfen.
BGA sieht nach kurzer Zeit Produktionsausfälle
"Die erneuten Streiks unterminieren das unabdingbare Vertrauen von Industrie und Handel in die Zuverlässigkeit der Bahn und konterkarieren alle Bestrebungen der Politik, mehr Güter auf die Bahn zu bringen", sagte BGA-Hauptgeschäftsführer Gerhard Handke. Die GDL säge damit an dem Ast, auf dem sie sitze.
Die Produktionsprozesse setzten einen reibungslosen Transportablauf voraus. Falle allerdings mit der Bahn eines der Glieder der Logistikkette aus, drohten schon nach kurzer Zeit Produktionsausfälle und damit erhebliche Einbußen. "Zu den besonders betroffenen Branchen eines Bahnstreiks zählt der Chemiehandel", erklärte Handke. Unverzichtbar sei die Schiene wegen der zu transportierenden Masse auch für die Stahl- und Metallhändler oder die Automobilzulieferer.
DIHK-Chefvolkswirt Alexander Schumann kritisierte den Streik in der Neuen Osnabrücker Zeitung als "Gift für den Standort Deutschland". Täglich würden 1 Million Tonnen Güter per Bahn transportiert. Im Güterverkehr führten Streiks "bereits nach wenigen Tagen zu Produktionsstörungen", denn Bahntransporte könnten oft nicht kurzfristig auf Straßen oder Schiffe verlagert werden. Vom Güterverkehr entfallen nach seinen Angaben derzeit rund 16 Prozent auf die Schiene.
In Schlüsselbranchen wie der Autoindustrie sei die Produktionskette komplett auf Just-in-time-Produktion ausgerichtet. Warenlager könnten nur in den ersten Tagen helfen. "Dann gerät die Fertigung ins Stocken," warnte Schumann. Er verwies auch auf die mehr als sechs Millionen Berufspendler, die täglich auf die Bahn angewiesen seien. "Das ist nicht nur ein Ärgernis für die Betroffenen, sondern stellt auch die Unternehmen vor besondere Herausforderungen und kann in vielen Fällen auch erheblich Geld kosten."
Stahlindustrie warnt vor erheblichem Schaden
Die Stahlindustrie zeigte sich tief besorgt über den Güterverkehrsstreik, durch den Kosten in Millionenhöhe entstünden. "Ein Drei-Tage-Streik im Schienengüterverkehr stellt die Stahlunternehmen vor riesige Probleme," sagte Hans-Joachim Welsch, Vorsitzender des Verkehrsausschusses der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Ein kurzfristiges Ausweichen auf andere Verkehrsträger sei nur sehr eingeschränkt möglich.
"Daher gibt der Streik auf der Schiene Anlass zu größter Sorge. Es entstehen erheblicher wirtschaftlicher Schaden und Zusatzkosten in Millionenhöhe", betonte Welsch. Die Stahlindustrie sei der größte Güterverkehrskunde der Deutschen Bahn, die für die Branche rund 65 Millionen Tonnen im Jahr und damit über 50 Prozent ihrer Transportmengen bewege.
Nach Einschätzung des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) geht der Streik bis an die Schmerzgrenze der betroffenen Unternehmen. Nach Aussage eines BME-Experten sind Bahnstreiks ab einer Dauer von drei Tagen ein echte Bedrohung für die von Lieferausfällen betroffenen Unternehmen.
Probleme drohen für kombinierten Verkehr
"Ab drei Tagen wird es kritisch", sagte Gunnar Geburek, der Logistikexperte des Verbandes. Der Grund sei, dass viele Unternehmen mit Blick auf Witterungsunbilden oder eben Streiks gewisse Lagerbestände vorhielten. "Aber über drei Tage hinaus plant kein Unternehmen, mit Ausnahme von Stahlwerken vielleicht", sagte er. Dauert ein Streik länger als drei Tage, kann es nach seiner Aussage zur Nichtauslieferung von Waren und zu Produktionsausfällen kommen.
Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) erklärte, Probleme könne es vor allem auch im kombinierten Verkehr geben, in dem Güter von der Straße auf die Schiene gebracht werden und dann mit dem Zug weiterfahren. "Das sind Waren, die zeitkritisch sind", sagte BGL-Sprecher Martin Bulheller. "Die Unternehmen müssen dann sehen, wo sie zusätzliche Kapazitäten herbekommen."
Der Streik sei deshalb "wieder so ein kleines Mosaiksteinchen", das das Image der Bahn untergrabe. Es komme nun sehr auf die Dauer des Streiks an. Dauere er lange, kämen Ausweichmechanismen zum Tragen, indem Logistikketten umdisponiert würden. "Dann kann es natürlich sein, dass der eine oder andere auf den Geschmack gekommen ist, wie flexibel der Lkw ist", sagte er. "Der Lkw streikt halt nicht."
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April 21, 2015 07:27 ET (11:27 GMT)
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