Von Klaus Brune
FRANKFURT (Dow Jones)--Zum ersten Mal hat das von ihm selbst so meisterhaft beherrschte System des öffentlichen Sezierens eines Gegenspielers nicht funktioniert. Der Auto-Patriarch Ferdinand Piëch, der den Volkswagen-Konzern aus den roten Zahlen führte und zum ernsthaften Konkurrenten für General Motors und Toyota um die globale Automobilkrone machte, hat schon zahlreiche Manager mit einer öffentlichen Demontage aus dem Amt gejagt. Bei Volkswagen-Vorstandschef Martin Winterkorn hat das jetzt nicht mehr funktioniert, und Ferdinand Piech musste am Ende selbst seinen Hut nehmen.
Der studierte Maschinenbauer hatte schon immer einen Hang zur perfekten Technik. "Fugen-Ferdi" nannten ihn seine Mitarbeiter und Wegbegleiter respektvoll, denn er arbeitete nahezu versessen daran, die Spaltmaße im Karosseriebau möglichst minimal zu halten. Und doch war er selbst auch ein Meister des Spaltens. In seinen 22 Jahren an der Spitze von Volkswagen -- zunächst von 1993 bis 2002 als Vorstandschef, danach als oberster Kontrolleur im Aufsichtsrat -- hat Ferdinand Piëch immer gewusst, was und wer gut für Volkswagen ist. Und er hat immer deutlich gemacht, wer sein Vertrauen genießt, und zu wem er eine Distanz aufgebaut hat.
Leitende Angestellte im System Piech hatten zu funktionieren. Und wenn sie es aus seiner Sicht nicht mehr taten, mussten sie gehen. Volkswagen ist damit in der Vergangenheit gut gefahren. Piëch hat Volkswagen zu einem Giganten gemacht, der aus zwölf Marken besteht, 200 Milliarden Euro Umsatz macht und im Konzert der größten Autobauer mitspielt.
Das System Piëch funktionierte dabei immer nach dem gleichen Schema. Ein Nachfolger wird aufgebaut und bei mangelndem Erfolg erst öffentlich diskreditiert und dann abserviert. Das machte er schon so mit seinen Nachfolgern an der Spitze von Audi, von Franz-Josef Kortüm über Herbert Demel bis hin zu Franz-Josef Paefgen so. Und bei Volkswagen ging es weiter.
Anfang 2006 war der von ihm selbst vom Konkurrenten BMW geholte Bernd Pischetsrieder an der Reihe. Als Pischetsrieders Vertrag im Frühjahr 2006 zur Verlängerung anstand, sagte Piech in einem Interview, die Vertragsverlängerung könne noch am Veto der Arbeitnehmer scheitern. "Ich kenne kein Unternehmen in Deutschland, wo jemand mit zehn Arbeitnehmer-Gegenstimnmen überleben kann", orakelte Piëch über seinen Nachfolger.
Piëch lastete Pischetsrieder an, zu behäbig auf die wieder aufkeimenden Probleme bei Volkswagen zu reagieren. Erst kurz vor der Hauptversammlung wurde der Eklat vermieden und der Vertrag von Pischetsrieder verlängert. Doch schon ein halbes Jahr später bekam Piëch, der Enkel des Porsche-Gründers und Käfer-Erfinders Ferdinand Porsche, seinen Willen: Pischetsrieder musste zum Jahresende 2006 gehen.
Drei Jahre später musste Porsche-Vorstandschef Wendelin Wiedeking dran glauben. Wieder war es ein öffentlicher Auftritt Piëchs, der das Ende eines VW-Managers einleitete. Bei einer Fahrzeugvorstellung auf Sardinien kam Piech zusammen mit dem damaligen Audi-Chef Martin Winterkorn und dem VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh auf Journalisten zu und erklärte scheinbar ganz beiläufig, Wiedeking genieße "zurzeit" noch sein Vertrauen. Der Auftritt im Sommer 2009 war der Anfang vom Ende für Wiedeking bei Porsche und Volkswagen.
Ursache war der Übernahmepoker, bei dem die kleinere Porsche AG den großen Volkswagen-Konzern schlucken wollte. Das Ende war klar: Trotz der Unterstützung durch die Familie Porsche musste Wiedeking am Ende bei Porsche seinen Hut nehmen.
Bei Martin Winterkorn, ein weiterer ursprünglicher "Ziehsohn" von Ferdinand Piëch, wollte der VW-Patriarch sein erfolgreiches System ein weiteres Mal durchziehen. Und die Öffentlichkeit war so daran gewöhnt, dass Piëch auch nach anfänglichen Widerworten seinen Willen bei Volkswagen bekommt, dass keiner die anfängliche Niederlage von Piëch überbewerten wollte. Der alte Fuchs habe bestimmt noch etwas in der Hinterhand und man sollte Ferdinand Piëch nie vorschnell abschreiben, sagten Weggefährten und Branchenbeobachter.
Und doch verkalkulierte sich Piëch bei Winterkorn zum ersten Mal. Piëch machte Winterkorn dafür verantwortlich, dass Volkswagen in den USA nicht die Modelle auf den Markt gebracht hatte, die hoch in der amerikanischen Käufergunst stehen. Und auch in China, dem zweiten großen Automobilmarkt der Welt, konnte Volkswagen zunehmend nicht mehr Schritt halten mit der Konkurrenz. Und schließlich schaffe es Winterkorn nicht, die aus Sicht der Eigner zu geringe Rendite des Konzerns entscheidend zu verbessern.
Also probte Piëch sein eingeübtes Prinzip der öffentlichen Demontage ein weiteres Mal. Er sei "auf Distanz" zum Volkswagen-Chef gegangen, sagte Piëch dem Spiegel. Es liege ihm viel daran, dass an der Spitze des Aufsichtsrats und des Vorstands "die Richtigen" kommen, ließ Piëch über das Magazin wissen. Noch immer ist nicht endgültig klar, was ihn zu den Attacken auf Winterkorn veranlasst hat.
Seit heute ist aber klar, dass er sich zum ersten Mal gründlich verkalkuliert hat. Hatte es in der Vergangenheit gereicht, Zweifel an einem Manager öffentlich zu äußern und dann zu warten, bis sich seine Meinung in den entscheidenden Führungszirkeln durchgesetzt hatte, so hatte Piëch dieses Mal die Distanz zu den anderen Präsidiumsmitgliedern zu groß werden lassen. Winterkorn bekam von allen Seiten Zustimmung, Piëch stand am Ende ganz alleine da.
Die letzten Wochen hätten zu einem "Vertrauensverlust zwischen Aufsichtsratsvorsitzendem und den übrigen Präsidiumsmitgliedern geführt, der sich (...) als nicht mehr lösbar erwiesen hat", sagte sein Stellvertreter im Aufsichtsrat, Berthold Huber. "Herr Piëch hat daraus die Konsequenzen gezogen und alle seine Ämter in VW-Aufsichtsräten niedergelegt." Zuletzt war sogar die Familie Porsche auf Distanz zu Piëch gegangen. Die Kritik an Vorstandschef Winterkorn sei eine unabgestimmte "Privatmeinung" Piëchs gewesen, ließ Piëchs Cousin Wolfgang Porsche wissen. Spätestens da war klar: Der Spalt ging sogar durch die eigene Familie, das System Piëch hatte versagt.
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April 25, 2015 16:26 ET (20:26 GMT)
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