Trotz spürbaren Unmuts in der Union kann Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit einer klaren Bundestags-Mehrheit für Verhandlungen über neue Griechenland-Finanzhilfen rechnen. Auch bei CDU und CSU wird in der Sondersitzung an diesem Freitag eine breite Zustimmung für den Rettungskurs der schwarz-roten Bundesregierung erwartet. Allerdings kündigten 48 Abgeordnete aus Merkels Fraktion in einer Sondersitzung am Donnerstagabend ein Nein an. Die Fraktion hat 311 der 631 Sitze.
Die SPD-Fraktion stellte sich nahezu geschlossen hinter die Pläne, Verhandlungen aufzunehmen. Bei der Abstimmung in einer Sondersitzung der Fraktion am Donnerstagabend gab es nur zwei Gegenstimmen und keine Enthaltungen. Auch die Grünen unterstützen ein drittes Griechenland-Hilfspaket, wollen sich bei der Abstimmung des Bundestages über ein Verhandlungsmandat der Bundesregierung aber mehrheitlich enthalten. Die Linke will dagegen Verhandlungen ablehnen, mit dem Argument, Griechenland würden zu harte Bedingungen auferlegt.
MERKEL WIRBT FÜR JA
Merkel warb am Donnerstag vor der Unionsfraktion für ein Ja. In der Sondersitzung der CDU- und CSU-Abgeordneten zeigte sie sich nach Teilnehmerangaben überzeugt, dass dies der richtige Weg im Bemühen um die Rettung Athens vor der Staatspleite sei. Solch harte Auflagen für ein Spar- und Reformprogramm habe es noch nicht gegeben, aber es gehe auch um große Summen.
Die Staats- und Regierungschefs der Eurozone hatten sich bei einem Gipfel in der Nacht zum Montag darauf verständigt, dass Griechenland bis zu 86 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren bekommen kann. Merkel berichtete der Fraktion, beim Euro-Gipfel sei über einen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro (Grexit) gesprochen worden. Das hätten Athen und andere Euro-Staaten aber abgelehnt.
BUNDESTAGS-ABGEORDNETE MÜSSEN NACH ABSCHLUSS DER VERHANDLUNGEN ERNEUT ENTSCHEIDEN
Erst am späten Donnerstagnachmittag waren den Abgeordneten Unterlagen der Bundesregierung mit mehreren Anträgen und Anlagen als Basis der Debatte zugegangen. Darin wird die Zustimmung zu Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket und zu einer Zwischenfinanzierung für Griechenland beantragt sowie die Bereitschaft zu zusätzlichen Schuldenerleichterungen betont, etwa längere Kreditlaufzeiten.
Zuvor hatten die Euro-Finanzminister dem neuen Hilfsprogramm mit einer Laufzeit von drei Jahren im Grundsatz zugestimmt. Dieser Plan muss nun in den kommenden Wochen verhandelt werden und bedarf der Zustimmung nationaler Parlamente. Die Bundestags-Abgeordneten müssen nach Abschluss der Verhandlungen erneut entscheiden, bevor das Hilfspaket in Kraft treten kann - wohl frühestens in vier Wochen.
STEINBRÜCK KÜNDIGT ABLEHNUNG AN
Die SPD forderte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf, die Verhandlungen nicht weiter mit einer Grexit-Debatte zu belasten. Es sei eine eindeutige Entscheidung gefallen. "Ich erwarte von allen Regierungsmitgliedern, dass sie mitziehen", sagte Fraktionschef Thomas Oppermann. "Da darf es keine Ausnahmen geben" - dies gelte auch für Schäuble. Als erster prominenter Sozialdemokrat kündigte Ex-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) derweil sein Nein für die Abstimmung im Bundestag an. Wie er der "Bild"-Zeitung sagte, würden weitere Milliardenhilfen "nichts an der wirtschaftlichen Gesamtlage Griechenlands ändern".
Die Linke wird laut Fraktionschef Gregor Gysi Verhandlungen über ein neues Hilfsprogramm für Athen ablehnen: "Ich glaube, dass die große Mehrheit ganz klar mit Nein stimmen wird." Säße er im griechischen Parlament, hätte er schweren Herzens zugestimmt, um einen Niedergang des Landes zu verhindern. Scharf kritisierte Gysi aber die harten Bedingungen für das Land, das deutsche Vorgehen und vor allem das Agieren von Finanzminister Schäuble. Die Grünen forderten Merkel auf, einen Abschied Griechenlands vom Euro auszuschließen. "Ich frage mich, wann die Kanzlerin ihren Finanzminister stoppt und sagt: Es gibt keinen Grexit", sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt./bw/du/sl/jac/ll/DP/he
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