Von Dan Strumpf
NEW YORK (Dow Jones)--Am Aktienmarkt steht der Schalthebel mittlerweile auf Neutral, während die Rentenmärkte schon den Rückwärtsgang eingelegt haben. Anleger stellen sich darauf ein, dass die Märkte auf der Fahrt durch den Rest des Jahres ordentlich durchgeschüttelt werden.
Im zweiten Quartal haben sich eine Menge Probleme angehäuft, die den Anlegern Sorgenfalten auf die Stirn trieben. Griechenland konnte seine Schulden nicht zurückzahlen, die Gewinne der Unternehmen gingen zurück, und die US-Wirtschaft geriet ins Stocken. Die griechische Schuldenkrise drängte dabei gegen Ende des Quartals mit Macht in den Vordergrund und führte zu heftigen Schwankungen an den Aktien- und Anleihemärkten. Investoren spielten in Gedanken den Austritt Griechenlands aus der Eurozone durch. Der drohende griechische Zahlungsausfall ließ die Aktienkurse ihre Gewinne wieder abgeben, die sie in den Wochen davor eingefahren hatten.
Blue Chips, Staatsanleihen verbuchten Einbußen - nur der Nasdaq-Index legte zu
Auch in der zweiten Jahreshälfte dürften sich die Anleger mit diesen Ängsten plagen. Mit der Aussicht auf steigende Zinsen haben sie einen Grund mehr, ihre Erwartungen an den Aktienmarkt für dieses Jahr zurückzuschrauben.
Viele bedeutende Aktienindizes kamen von ihren im Mai erreichten Rekordständen zurück und schnitten im zweiten Quartal unter dem Strich schlecht ab. Der S&P-500 beendete das Quartal um 0,2 Prozent niedriger, nachdem er zuvor neun Quartale in Folge zugelegt hatte. Der Dow-Jones-Index büßte 0,9 Prozent ein und verbuchte den größten Quartalsverlust seit dem Schlussquartal 2012.
Auch am Anleihemarkt stürzten die Kurse ab. Im Gegenzug verzeichnete die Rendite zehnjähriger US-Anleihen den steilsten Anstieg seit Ende 2013. In den fünf Quartalen davor waren die Renditen stetig gefallen. Zehnjährige US-Anleihen rentierten am Ende des zweiten Quartals mit 2,335 Prozent. Zum Ende des ersten Quartals waren es noch 1,930 Prozent. Und die Rendite von Bundesanleihen mit gleicher Laufzeit zog auf 0,7415 von 0,184 Prozent an.
Ursächlich für den rasanten Anstieg der Renditen war, dass viele Anleger ihre Anleihebestände in Erwartung der ersten Zinserhöhung der US-Notenbank seit 2006 abbauten. "Anleger müssen sich darauf vorbereiten, dass die Fed den Geldhahn zudreht", kommentiert Gene Tannuzzo von Columbia Threadneedle diese Entwicklung.
Doch während die Kurse von Anleihen und Standardwerten nachgaben, legte der Nasdaq-Composite gegen den Trend zu. Für den Index stand am Ende des Quartals ein Plus von 1,8 Prozent zu Buche. Zum ersten Mal seit der Technologieblase zur Jahrtausendwende markierte der Nasdaq-Composite neue Rekordstände - was davon zeugt, dass Anleger noch immer nach Marktsegmenten gieren, die schneller wachsen als der Rest des Markts, und dafür größere Risiken einzugehen bereit sind.
Anleger rechnen mit kleineren Gewinnen am Aktienmarkt
Viele Anleger rechnen für den Rest des Jahres gleichwohl noch mit Gewinnen am Aktienmarkt. Sie stützen ihre Erwartungen auf die immer noch niedrigen Zinsen, das moderate Wirtschaftswachstum und die Erwartung, dass sich die Ertragslage der Unternehmen bessert. Zweistellige Kursgewinne wie in den Jahren 2013 und 2014 dürften aber nur schwer zu erzielen sein, heißt es. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahres schaffte der S&P-500 ein Plus von 6,1 Prozent, auf Jahressicht summierte sich der Gewinn auf 11 Prozent.
Recht zuversichtlich für das zweite Halbjahr zeigt sich Susan Bao, Portfoliomanagerin des 13 Milliarden Dollar schweren J.P. Morgan U.S. Equity Fund. "Wir sehen immer noch Aufwärtspotenzial im Markt" sagt sie. Bao setzt schon seit einiger Zeit auf Bankenaktien und glaubt, dass ihre Wette in diesem Jahr aufgeht. Finanzdienstleister wie Banken profitieren in der Regel von höheren Zinsen, denn sie können höhere Kreditzinsen verlangen. Die Portfoliomanagerin hält vor dem Hintergrund der regen Fusionstätigkeit in der Branche auch Aktien einiger Pharmakonzerne.
Die Hoffnung, dass die Wirtschaft nach einer Phase mäßigen Wachstums wieder Fahrt aufnimmt, ist unter Anlegern weit verbreitet. Dann hätte allerdings die US-Notenbank gute Gründe, die kurzfristigen Zinsen zu erhöhen. Die meisten Beobachter erwarten die erste Zinserhöhung im September.
Zwar trauen die meisten Anleger den Aktienmärkten auch dann noch Kursgewinne zu, wenn sich Kredite für Unternehmen verteuern - vor allem dann, wenn die Wirtschaft weiter wächst -, doch gibt es auch kritische Stimmen, die befürchten, dass Aktien und andere risikoreichere Anlageklassen jene Attraktivität verlieren, die sie während der langen Phase ultraniedriger Zinsen erlangt haben. "Höhere Zinsen sind allein deshalb schon negativ, weil sie eine Veränderung darstellen", meint Terry Sandven, leitender Aktienstratege bei U.S. Bank Wealth Management.
Was den Anlegern ebenfalls Sorgen bereitet, ist der Umstand, dass die Zinsen zu einer Zeit erhöht werden sollen, in der die Unternehmensgewinne nur noch langsam steigen. Die Aufwertung des Dollar mindert die Wettbewerbsfähigkeit vieler US-Unternehmen auf dem Weltmarkt. Der Verfall der Ölpreise wiederum verschlechtert die Ertragslage der Energiebranche. Andere Branchen, etwa Fluggesellschaften, profitieren dagegen vom billigeren Öl. Wenn sich nun noch die Kreditaufnahme verteuert, hätten die US-Unternehmen allerdings generell ein weiteres Problem.
Nur noch wenige niedrig bewertete Unternehmen
Die Aktienmärkte würden letztlich von den Unternehmensgewinnen getrieben, sagt Peter Stournaras, Portfoliomanager bei BlackRock Large Cap Series Funds. Und derzeit wüchsen die Gewinne nur mäßig. Stournaras weist gleichzeitig auf die hohen Bewertungen an den Aktienmärkten hin. "Wenn man sich den Markt anschaut, findet man nur wenige niedrig bewertete Gelegenheiten", sagt er.
Stournaras hat sein Engagement in dividendenstarken Sektoren wie Versorgern, Immobilien-Investmenttrusts und Massenkonsumgütern zurückgefahren. Wenn die Zinsen steigen, werden seiner Meinung nach die Dividendentitel besonders unter Druck geraten. Sie waren nämlich in der Niedrigzinsphase als eine Art Ersatz für Anleihen besonders begehrt bei renditehungrigen Anlegern. Auch Stournaras setzt verstärkt auf Finanzwerte, weil er hofft, dass die entsprechenden Unternehmen von höheren Zinsen profitieren.
Im zweiten Quartal hat sich die Ertragslage der US-Unternehmen jedoch erst einmal eingetrübt. Nach Daten von FactSet dürften die Gewinne im Schnitt um 4,5 Prozent geschrumpft sein. Im ersten Quartal wurde ein Wachstum von mageren 0,8 Prozent verbucht. Analysten sind allerdings oft übertrieben pessimistisch, weshalb der Rückgang wahrscheinlich weniger drastisch ausfallen wird.
Das dürfte die Anleger aber kaum trösten, die sich mit einem zunehmend teuren Aktienmarkt konfrontiert sehen. So liegt das KGV des S&P-500 mittlerweile bei 17,9 und damit so hoch wie seit fast fünf Jahren nicht mehr. Anfang des Jahres stand es bei 17,1. Im Durchschnitt wiesen die in dem Index gelisteten Aktien in den vergangenen zehn Jahren ein KGV von 15,7 auf. Von Extremen will Sandven mit Blick auf die Aktienbewertungen nicht sprechen. Sie seien aber ein Grund, um innezuhalten.
Dass in den USA die Zinswende ansteht, hält viele Anleger nicht davon ab, an weiter steigende Kurse zu glauben. Zum einen dürften die US-Zinsen noch lange auf relativ niedrigen Niveaus verharren. Und schließlich fluten andere Zentralbanken die Märkte über Zinssenkungen oder Wirtschaftsstimuli weiterhin mit Geld. So hat die Europäische Zentralbank im März damit begonnen, monatlich Anleihen für 60 Milliarden Euro zu kaufen. Ein ähnliches Programm verfolgt die japanische Zentralbank seit 2013. Und die People's Bank of China hat erst am Wochenende die Zinsen gesenkt.
"Zwar werden die Zinsen in den USA nicht weiter sinken, doch außerhalb der USA wird eine lockere Geldpolitik verfolgt", sagt Jeff Feingold, Portfoliomanager des Fidelity Magellan Fund. "Das ist gut für die Märkte." Feingold hat nach eigenen Angaben ohne große Mühe wachstumsträchtige Aktien zu attraktiven Kursen aufgetrieben. Fündig wurde er unter anderem im Pharma- und Gesundheitssektor. Dieser dürfte in diesem Jahr zweistellige Gewinnsteigerungsraten schaffen, selbst wenn am breiten Markt die Gewinne langsamer steigen.
Mitarbeit: Min Zeng
Kontakt zum Autor: claudia.nehrbass@wsj.com
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July 01, 2015 11:45 ET (15:45 GMT)
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