Von Manuel Priego Thimmel
FRANKFURT (Dow Jones)--An vielen Börsen scheint derzeit Panik zu herrschen. Schuld daran ist nicht die Furcht vor einem "Grexit", sondern die Angst vor einem nachlassenden Wirtschaftswachstum in China. Gerade der exportlastige DAX wurde zuletzt abverkauft. Die Kursverluste scheinen aber übertrieben. Solange die chinesische Wirtschaft nicht in die Rezession abrutscht und ein internationaler Währungskrieg vermieden wird, dürften sich die Börsen schon bald wieder erholen. Für mutige Anleger eröffnen sich damit Kaufgelegenheiten.
Die Abwertung des Yuan in der vergangenen Woche um fast zwei Prozent gegen den Dollar hat bei vielen Akteuren an den Finanzmärkten Entsetzen ausgelöst. Weder auf die asiatische Finanzkrise 1997 noch auf den Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008 hatte die chinesische Zentralbank mit einer Abwertung der eigenen Währung reagiert. Die Märkte werten die Maßnahme daher als Eingeständnis dafür, dass es um die chinesische Wirtschaft schlimmer steht als bislang gedacht. Auch machte das Gespenst eines Währungskrieges die Runde, in dem andere Länder ebenfalls abwerten, um die eigene Exportwirtschaft zu stützen.
Die Ängste scheinen aber übertrieben. Die chinesischen Wirtschaftsdaten enttäuschen zwar schon seit Monaten - der von Caixin veröffentlichte Einkaufsmanager-Index für das verarbeitende Gewerbe ist im August zwar auf den tiefsten Stand seit sechseinhalb Jahren gesunken. Die Wirtschaft leidet unter Überkapazitäten und hohen Schulden, während faule Kredite den Bankensektor belasten. Auch korrigiert nach Jahren der Übertreibung der chinesische Immobilienmarkt. Trotzdem zeichnet sich ein echter Einbruch der Wirtschaft in China nicht ab, für die die Regierung als Ziel 2015 eine Wachstumsrate von etwa 7 Prozent ausgegeben hat.
Die Citigroup hat ihre chinesischen Wachstumserwartungen für 2016 auf 6,3 von 6,7 Prozent gesenkt, für das Jahr 2017 rechnen die Ökonomen nur noch mit 6,5 Prozent nach bislang 7,1 Prozent. Dies stellen zwar erhebliche Senkungen dar, ein Abrutschen in die Rezession mit entsprechend negativen Folgewirkungen auf das weltweite Wachstum ist aber nicht in Sicht. Auch dürfte die chinesische Regierung auf die wirtschaftliche Abschwächung mit neuen Fiskalmaßnahmen reagieren. Daneben ist es wahrscheinlich, dass die Notenbank die Geldpolitik im weiteren Jahresverlauf lockern wird.
Ein Währungskrieg zeichnet sich derzeit ebenfalls nicht ab. Nach 20 Jahren der Aufwertung gilt der Yuan schon lange als überbewertet. Die chinesischen Behörden haben somit nur eine überfällige Korrektur vorgenommen, die zudem recht moderat ausgefallen ist. Daneben ist China mit der Abwertung und der zukünftig marktnäheren Berechnung des Wechselkurses des Yuan auch Forderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) nachgekommen. China hat großes Interesse, dass seine Währung zu einer internationalen Reservewährung wird - ein schädliches Abwertungsrennen passt da nicht ins Bild.
Der exportlastige DAX war einer der Hauptleidtragenden der jüngsten Korrektur an den Aktienmärkten. Der deutsche Leitindex hat seit der Yuan-Abwertung mehr als 1.000 Punkte auf jetzt rund 10.300 verloren. Aber wie wichtig ist das China-Geschäft eigentlich für die deutschen Unternehmen? Laut der Deutschen Bank werden 9 Prozent der Umsätze, der im DAX notierten Konzerne, im Reich der Mitte erwirtschaftet. Gewinnseitig entfallen 15 Prozent auf das Geschäft mit China. Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen.
Wie die Deutsche Bank anmerkt, werden 11,5 Prozentpunkte dieser 15 Prozent im Automobilsektor erzielt. Weit abgeschlagen folgt der Chemiesektor mit 1,7 Prozent. Wenn man von der Abhängigkeit der deutschen Konzerne vom China-Geschäft spricht, ist also eigentlich von einer Abhängigkeit der deutschen Automobilhersteller die Rede. Eine Abschwächung des China-Geschäfts bei BMW & Co ist in der Zwischenzeit aber eingepreist. Laut den Analysten impliziert die jüngste Korrektur der Automobil-Aktien eine Senkung der erwarteten Gewinne um 45 Prozent.
Ein solcher Einbruch zeichnet sich aber nicht ab. Die Analysten erwarten lediglich einen Gewinnrückgang von maximal 10 Prozent im Autosektor, was wiederum die Unternehmensgewinne für den DAX insgesamt um 3,5 Prozent schmälern würde. Die Deutsche Bank hat zwar wegen der chinesischen Wachsstumssorgen ihr Kursziel für den DAX für das laufende Jahr auf 11.300 von bislang 12.000 reduziert, das neue Ziel impliziert aber noch immer Kursgewinne von rund 1.000 Punkten vom derzeitigen Niveau.
Entwarnung gibt auch das Bankhaus Lampe und bestätigt sein DAX-Jahresendziel von 12.100 Punkten. Lampe erwartet weder eine chinesische noch eine weltweite Rezession. Vielmehr dürfte das Umfeld niedrigen Wachstums der vergangenen Jahre auch in Zukunft anhalten. Die über den Finanzmärkten hängende Leitzinserhöhung durch die US-Notenbank stelle zwar ein Risiko dar, allerdings dürfte der Zinserhöhungszyklus angesichts des mauen Wachstumsumfelds sehr moderat ausfallen. Lampe glaubt, dass die US-Notenbank maximal drei Mal die Leitzinsen anheben wird.
Aktuell preisen die Finanzmärkte US-Zinserhöhungen bis September 2016 um 50 bis 75 Basispunkte ein. Zum Vergleich: Im 2004 begonnenen bislang letzten Zinserhöhungszyklus erhöhte die US-Notenbank die Zinsen in insgesamt 17 Schritten zu je 25 Basispunkten um insgesamt 425 Basispunkte. Die Commerzbank erwartet daher keinen Rentencrash, wie dies bei früheren Zinserhöhungszyklen der Fall war. Das spricht auch gegen größeren Abgabedruck bei Aktien. Ab dem vierten Quartal dürften dann dank einer wieder expansiveren Geldpolitik auch die Wirtschaftsdaten in China wieder besser ausfallen. Die Commerzbank bleibt bei ihrem DAX-Kursziel von 11.800 Punkten.
Die aktuelle Kursschwäche könnte sich also als attraktive Einstiegsgelegenheit für mutige Anleger erweisen. Restrisiken bleiben natürlich, namentlich eine globale Rezession ausgelöst durch China oder ein offener Währungskrieg an den Finanzmärkten. Danach sieht es bislang aber nicht aus. Sollte es dazu kommen, dürfte dies massive Interventionen der Zentralbanken auslösen. Und zumeist bilden Zeiten, in denen die Zentralbanken in Panik verfallen, den Startschuss für die besten Bullenmärkte an den Börsen.
Kontakt zum Autor: manuel.priego-thimmel@dowjones.com
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