Regensburg (ots) - Bei ihrem letzten Türkeibesuch wurde Kanzlerin Merkel von Recep Tayyip Erdogan mit Pomp und Gloria in seinem neuen Präsidentenpalast empfangen: Eine Garde in historischen Gewändern stand Spalier, von Decken und Wänden glänzte es golden und in der Mitte des Raumes ragte der König hervor. Es war eine Machtdemonstration Erdogans, wie jüngst auch der Sturm auf den regierungskritischen Fernsehsender Bugün TV: Erdogan kann sich vor den Parlamentsneuwahlen am Sonntag alles erlauben - von Festnahmen unliebsamer Oppositioneller bis hin zu Luftschlägen gegen Kurden. Aus Europa kommt: Nichts. Ausgerechnet aus Europa, das so stolz auf sein demokratisches Modell ist, das Frieden schafft, in dem der Schutz jeder Meinung, jeder Religion sowie jeder Minderheit hochgehalten wird und das sogar das Recht erkämpft, eine allgemeingültige Norm für Brezen festzulegen. Die Regierungschefs, sonst schnell im Anprangern eines fehlenden Demokratieverständnisses in Putins Russland, verzichten bei Erdogan auf zu laute Kritik. Denn die EU hat ein Problem, bei dessen Lösung sie auf die Hilfe des türkischen Präsidenten angewiesen ist: die Flüchtlingskrise. Die Flucht vieler Syrer, Afghanen oder Iraker, die jetzt in Passau und Freilassing aufschlagen, verläuft über die Türkei. Mehr als zwei Millionen habe das Land bereits aufgenommen, so Erdogan. Doch schlecht versorgt und in der Hoffnung auf eine Zukunft im gelobten Europa ziehen viele weiter, mit fatalen Folgen. Als ein von Europa zu verantwortendes Grab bezeichnete der türkische Präsident das Mittelmeer. Bei aller Polemik hat er damit nicht Unrecht: Zu spät haben die Europäer die Lage vieler Flüchtlinge erkannt, den Krieg und das Leid in Syrien verdrängt. Jetzt sind sie getrieben von Überforderung und nationalistischer Stimmungsmache. Ob Juncker oder Merkel: Einen Zaun an den Binnengrenzen lehnen beide als Lösung ab. Zu offensichtlich wäre es ein Eingeständnis für das Scheitern Europas. Stattdessen wollen sie die EU-Außengrenzen sichern, nach dem Motto: Aus den Augen aus dem Sinn. Erdogan lässt sich aber Europas gutes Gewissen teuer erkaufen: Neben Milliarden für den Bau neuer Flüchtlingsunterkünfte verlangt er die Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen und Visaerleichterungen. Europa wird seine Forderungen erfüllen, wider jeglicher demokratischen Ideale und realpolitischen Verstands. Denn die Säulen von Erdogans Macht stehen auf wackligem Boden: Die Türkei ist tief gespalten, in Laizisten, die eine strikte Trennung von Staat und Religion befürworten, und den Anhängern des konservativen Präsidenten, der das Land langsam zu einem autoritäres Regime umbaut. Doch im Juni verlor seine Regierungspartei AKP die absolute Mehrheit im Parlament. Der Traum des Präsidenten von den 60 Prozent der Parlamentssitze, mit der seine AKP die Verfassung nach den Wünschen ändern könnte, erhielt einen empfindlichen Dämpfer: Die HDP, ein Zusammenschluss aus kurdischen und linken Gruppen, entriss Erdogan die absolute Mehrheit. Jetzt droht die Oppositionspartei bei den Neuwahlen erneut zum Störfall zu werden. Erdogan zieht alle Register: Er mischt sich in die Tagespolitik ein, lässt regierungskritische Medien wegen angeblicher Unterstützung des Terrorismus verfolgen und geht mit massiver Gewalt gegen Demonstrationen vor. Statt eine türkische Zivilgesellschaft zu stärken oder den undemokratischen Regierungsstil zu verurteilen, kommentierte die Kanzlerin den umstrittenen Türkeibesuch damit, dass die internationale Lage keinen Zeitverlust erlaube. Dumm nur für die Kanzlerin und Europa, dass die Zeit für Erdogan spielt.
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