Ulm (ots) - Beinfreiheit für alle
Von Gunther Hartwig In neun Bundesländern regieren die Grünen mit, in Baden-Württemberg stellen sie sogar den Ministerpräsidenten. Das ist für eine Partei, die sich ursprünglich ganz aufs Opponieren versteifen wollte, eine respektable und inzwischen von Mitgliedschaft wie Anhängern durchaus angestrebte Machtposition in Deutschland. Doch mit dieser gefestigten Stellung im Parteiensystem der Republik verschwinden keineswegs die Probleme, die aus der Spannung zwischen dem Selbstverständnis der Grünen und ihrer Rolle als bedeutender Einflussfaktor in der Politik von Bund und Ländern resultieren. Es hat Zeiten in ihrer Parteigeschichte gegeben, in denen Flügelkämpfe den Grünen härtere Zerreißproben beschert haben. Inzwischen laufen die internen Konflikte ebenso zivilisiert wie routiniert ab, was freilich nicht bedeutet, dass sie verschwunden sind. Doch gemessen an den existenziellen Kontroversen, die sich Realpolitiker und Fundamentalisten früher geliefert haben, erinnern die Parteitage der Grünen heute doch sehr an die eher harmoniebeflissenen Veranstaltungen der etablierten Wettbewerber - sieht man einmal von der offenen Konfrontation der Parteischwestern CSU und CDU am vergangenen Freitag in München ab. Die erklärte Formel der Grünen in einer aktuell höchst brisanten Gemengelage lautet: Geschlossenheit in Vielfalt. Die Partei versucht damit zu verdecken, dass sie in der Flüchtlingsfrage und beim Kampf gegen den Terrorismus mit sich selbst um Antworten ringt, nicht anders als Union und SPD auch. Die Grünen sind dabei genauso weit von einfachen und kohärenten Lösungen entfernt wie die Konkurrenz aus der schwarz-roten Koalition. Davon zeugt nicht zuletzt die Bildung eines Koordinierungskreises innerhalb der Partei, der sich als "unabhängige Strömung" bewusst von Realos und Linken abgrenzt. Gerade im Angesicht komplexer Herausforderungen fällt den Grünen der Spagat zwischen Gründungsidealen und Herrschaftspragmatismus schwer. Die großen Alternativen von Krieg und Frieden, von Freiheit und Sicherheit, von Umweltzerstörung und Nachhaltigkeit sind in dieser Partei schon immer mit Leidenschaft und zuweilen auch mit dem Mut zu moralischem Rigorismus diskutiert worden. Allerdings muss man feststellen, dass es den Grünen unterdessen an beeindruckenden Köpfen und streitbaren Geistern nicht weniger mangelt als den Volksparteien - vielleicht ist das ja ein unvermeidlicher Tribut an gesellschaftliche Anschlussfähigkeit und den Alltag einer Funktionspartei, die sich als Regierungspartner sowohl der SPD wie der CDU empfiehlt. So ist es im Vorfeld der drei Landtagswahlen im nächsten Frühjahr und im Blick auf die Bundestagswahl 2017 nicht verwunderlich, dass sich die Grünen um eine möglichst uneingeschränkte Beinfreiheit für alle bemühen. Schließlich will die Partei Winfried Kretschmann als Regierungschef in Stuttgart behalten und Juniorpartner der SPD in Mainz bleiben. Deshalb war es einzelnen Delegierten in Halle zwar erlaubt, den von Kretschmann und anderen Ländervertretern der Grünen im Bundesrat mitverantworteten Asylkonsens als faulen und bitteren Kompromiss zu verurteilen. Aber niemand in der Partei kann Kretschmann daran hindern, in der Flüchtlingskrise auch künftig seinen Weg zwischen Humanität und Pragmatismus zu finden, zwischen Realitätssinn und Wertekompass. Was das mittelfristig für das Profil und die Erfolgsaussichten der Bundespartei bedeutet, bleibt indes offen.
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Pressekontakt: Südwest Presse Ulrike Sosalla Telefon: 0731/156218
Von Gunther Hartwig In neun Bundesländern regieren die Grünen mit, in Baden-Württemberg stellen sie sogar den Ministerpräsidenten. Das ist für eine Partei, die sich ursprünglich ganz aufs Opponieren versteifen wollte, eine respektable und inzwischen von Mitgliedschaft wie Anhängern durchaus angestrebte Machtposition in Deutschland. Doch mit dieser gefestigten Stellung im Parteiensystem der Republik verschwinden keineswegs die Probleme, die aus der Spannung zwischen dem Selbstverständnis der Grünen und ihrer Rolle als bedeutender Einflussfaktor in der Politik von Bund und Ländern resultieren. Es hat Zeiten in ihrer Parteigeschichte gegeben, in denen Flügelkämpfe den Grünen härtere Zerreißproben beschert haben. Inzwischen laufen die internen Konflikte ebenso zivilisiert wie routiniert ab, was freilich nicht bedeutet, dass sie verschwunden sind. Doch gemessen an den existenziellen Kontroversen, die sich Realpolitiker und Fundamentalisten früher geliefert haben, erinnern die Parteitage der Grünen heute doch sehr an die eher harmoniebeflissenen Veranstaltungen der etablierten Wettbewerber - sieht man einmal von der offenen Konfrontation der Parteischwestern CSU und CDU am vergangenen Freitag in München ab. Die erklärte Formel der Grünen in einer aktuell höchst brisanten Gemengelage lautet: Geschlossenheit in Vielfalt. Die Partei versucht damit zu verdecken, dass sie in der Flüchtlingsfrage und beim Kampf gegen den Terrorismus mit sich selbst um Antworten ringt, nicht anders als Union und SPD auch. Die Grünen sind dabei genauso weit von einfachen und kohärenten Lösungen entfernt wie die Konkurrenz aus der schwarz-roten Koalition. Davon zeugt nicht zuletzt die Bildung eines Koordinierungskreises innerhalb der Partei, der sich als "unabhängige Strömung" bewusst von Realos und Linken abgrenzt. Gerade im Angesicht komplexer Herausforderungen fällt den Grünen der Spagat zwischen Gründungsidealen und Herrschaftspragmatismus schwer. Die großen Alternativen von Krieg und Frieden, von Freiheit und Sicherheit, von Umweltzerstörung und Nachhaltigkeit sind in dieser Partei schon immer mit Leidenschaft und zuweilen auch mit dem Mut zu moralischem Rigorismus diskutiert worden. Allerdings muss man feststellen, dass es den Grünen unterdessen an beeindruckenden Köpfen und streitbaren Geistern nicht weniger mangelt als den Volksparteien - vielleicht ist das ja ein unvermeidlicher Tribut an gesellschaftliche Anschlussfähigkeit und den Alltag einer Funktionspartei, die sich als Regierungspartner sowohl der SPD wie der CDU empfiehlt. So ist es im Vorfeld der drei Landtagswahlen im nächsten Frühjahr und im Blick auf die Bundestagswahl 2017 nicht verwunderlich, dass sich die Grünen um eine möglichst uneingeschränkte Beinfreiheit für alle bemühen. Schließlich will die Partei Winfried Kretschmann als Regierungschef in Stuttgart behalten und Juniorpartner der SPD in Mainz bleiben. Deshalb war es einzelnen Delegierten in Halle zwar erlaubt, den von Kretschmann und anderen Ländervertretern der Grünen im Bundesrat mitverantworteten Asylkonsens als faulen und bitteren Kompromiss zu verurteilen. Aber niemand in der Partei kann Kretschmann daran hindern, in der Flüchtlingskrise auch künftig seinen Weg zwischen Humanität und Pragmatismus zu finden, zwischen Realitätssinn und Wertekompass. Was das mittelfristig für das Profil und die Erfolgsaussichten der Bundespartei bedeutet, bleibt indes offen.
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