Bielefeld (ots) - So widersprüchlich können EU-Gipfeltreffen sein. Da ringen die gleichen 28 Mitgliedstaaten, die sich eben noch über den Umgang mit Flüchtlingen gestritten haben, im nächsten Augenblick um den Erhalt der europäischen Grundpfeiler. Niemand wollte Großbritannien einfach gehen lassen, keiner mochte aber auch Londons Attacken auf die Errungenschaften der Union achselzuckend hinnehmen. Der britische Versuch, die Euro-Zone von außen lenken zu können, musste scheitern. Die Absage des Vereinigten Königreichs an eine »immer engere Union« erscheint verschmerzbar, das Bekenntnis zur Wettbewerbsfähigkeit spricht vielen sogar aus der Seele. Und der zuletzt vorgelegte Kompromissvorschlag zum zeitweisen Entzug von Sozialleistungen für EU-Zuwanderer wurde so ausgestaltet, dass die Niederlassungsfreiheit unbeschädigt blieb. Wenn die Tinte unter einer solchen Vereinbarung trocken ist, mag sich Premier David Cameron als Gewinner feiern lassen. Er kann ein Referendum ansetzen und sich für den Verbleib in der EU aussprechen. Dass dies aber nur ein Pyrrhus-Sieg sein kann, wird man ihn spüren lassen, wenn er nach einer - möglicherweise - gewonnenen Volksabstimmung wieder nach Brüssel zurückkehrt. Denn die europäische Familie dürfte ihm dann klarmachen, dass es nun genug ist und die fast 50-jährige Geschichte britischer Bremsversuche in dieser Gemeinschaft ein Ende haben muss. Die EU hat bis zuletzt um einen Kompromiss gerungen. Das ist angesichts der vielfältigen Interessenlagen von 28 derart unterschiedlichen Staaten eine gute Nachricht - selbst wenn nur eine Einigung auf dem kleinsten Nenner erreichbar war. Aber die Union ist nicht gescheitert - zumindest nicht an dieser Frage. Doch die Politik der Rücksichtnahme auf die Empfindlichkeit euroskeptischer Insulaner muss aufhören. Wichtige politische Projekte wurden seit Jahren verschoben, nur um London nicht zu verärgern. Europa hat mit diesem Kompromiss nicht seine Identität und Ziele, seine Werte und Inhalte aufgegeben, aber es hat eine Zeit politischer Lethargie in Kauf genommen, deren Konsequenzen schlimmer waren als befürchtet. Eine Union, die nicht in der Lage ist, Herausforderungen gemeinsam und dauerhaft zu lösen, verliert ihre Attraktivität und - wichtiger noch - ihre Glaubwürdigkeit. Selten war das Versagen eines EU-Gipfels für die Menschen so spürbar. Die Entwicklung der zurückliegenden Monate macht deutlich, dass diese Union kein Selbstzweck sein kann, sondern dass man Nachbarn und Partner auch jenseits der Grenzen braucht, um die eigenen Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Ob Türkei, Russland, Ukraine oder Afrika - die EU muss ausufern, um ihre Garantien von Frieden und Freiheit im Inneren aufrechterhalten zu können. Das lehrt uns diese Krise.
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