Bielefeld (ots) - Die Ministerpräsidenten in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg werden nach diesem Wahlsonntag wohl im Amt bleiben. Das war so nicht zu erwarten und zeugt mindestens vordergründig - bei allen Herausforderungen, denen sich die Politik derzeit gegenüber sieht - von einem gewissen Maß an Stabilität unserer Demokratie. Noch. Denn die Dramatik des Ergebnisses für unsere demokratische Verfasstheit offenbart sich in den krassen Verschiebungen der Wähleranteile. Die demokratische Mitte in Deutschland ist kleiner geworden. Dies gilt um so mehr, als die Wahlbeteiligung gegen den Trend der vergangenen Jahre deutlich angestiegen ist. Der Grund für die Verschiebungen dürfte in der Flüchtlingsfrage, also in den Bemühungen der Bundesregierung liegen, mit dem Zustrom von Menschen fertig zu werden. Aber die Flüchtlingsfrage allein kann diese tektonischen Verschiebungen in der Mittelschicht zu Gunsten der rechten AfD nicht erklären. Die Gefahr der aktuellen politischen Lage liegt darin, dass auf dem Thema der hunderttausendfachen Völkerwanderungen der Neuzeit das Thema der sozialen Gerechtigkeit eine neue Dimension gewinnt, die die handelnde Politik derzeit zu wenig in den Blick nimmt. Es macht sich eine tiefe Unzufriedenheit in der Mittelschicht in Deutschland breit. Das Aufstiegsversprechen, das über Jahrzehnte als Basis des sozialen Friedens für breiteste Bevölkerungsschichten diente und funktionierte, gibt es de facto nicht mehr. Auch das spiegeln die Ergebnisse vom Sonntag. Keine Partei kann sich mehr ihrer traditionellen Mehrheiten sicher sein. In Rheinland-Pfalz ist mit Julia Klöckner eine Nachwuchshoffnung der Union abgewatscht worden. In Baden-Württemberg, dem Stammland der Union, aus dem auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble stammt, hat der irrlichternde CDU-Kandidat Guido Wolf erdrutschartig verloren. Das war bislang unvorstellbar. Die beiden Kandidaten, die orientierungslos durch die Republik gelaufen sind und glaubten, ihre CDU-Mitgliedschaft allein sichere schon den Erfolg, sind gescheitert. Für die SPD immerhin mildert ein neuer Star die bitteren Ergebnisse in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg ab, in denen sie auf den Status einer Randgruppe abgesunken ist: Malu Dreyer hat in Rheinland-Pfalz gezeigt, dass man auch eine sehr schwierige Ausgangslage noch in einen überzeugenden Sieg verwandeln kann. Mit Geduld und Zielstrebigkeit hat sie sich nicht in die vordergründigen Scharmützel um die Flüchtlingspolitik begeben, sondern sich auf ihre Themen im Land konzentriert und gute Landespolitik im Blick auf den sozialen Ausgleich gemacht. Für die SPD ist Dreyers Ergebnis ein Triumph, aus dem sie viel lernen kann und den die Volkspartei auch dringend braucht, um die Ergebnisse in Magdeburg und Stuttgart zu verarbeiten sowie die schlechten Umfragewerte im Bund wieder verbessern zu können. Die Unzufriedenheit breiter Teile der deutschen Mittelschicht über fehlende Gerechtigkeit in unserer Republik erklärt auch das Votum für die AfD. 10 bis 14 Prozent im Westen, mehr als 20 Prozent im Osten für ein politisches Angebot, das aus nicht viel mehr als Destruktion und antidemokratischer Denunziation besteht - das muss die Demokraten im Land besorgt machen. "Wehret den Anfängen" lautet die Botschaft, die davon ausgeht. Die Bildung politischer Mehrheiten - so die wichtigste Analyse des Sonntags - ist schwieriger geworden. Die Zeit, in der es der Normalzustand der Demokratie war, dass sich eine große Volkspartei mit einer kleineren Interessen- oder Klientelpartei zu einer Mehrheit in Koalitionen zusammenfinden konnte, scheint zu Ende zu gehen. Selbst große Koalitionen aus CDU und SPD bringen nicht immer automatisch eine Mehrheit. Die zentrale Frage aber lautet: Wie kann es den etablierten Parteien gelingen, die politische Mitte des Landes wieder breiter hinter sich zu versammeln? Vieles deutet darauf hin, dass diese Herausforderung nach einer Wiederentdeckung des Themas der sozialen Gerechtigkeit verlangt. Das macht die Politik auch im Bund wieder spannend. Man darf vermuten, dass es schon bald mit dem Frieden in der Großen Koalition vorbei sein wird und der Wahlkampf um neue Mehrheiten im Bund spätestens im Herbst beginnt.
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