Regensburg (ots) - Was darf Satire? Alles, hat Kurt Tucholsky gesagt. Naja, sagt dagegen das deutsche Recht. Es gibt ein Recht auf freie Meinungsäußerung, es gibt ein Recht auf die Freiheit der Kunst, aber es gibt eben auch die Paragrafen 185 und 103 im Strafgesetzbuch. Die regeln, dass die Beleidigung, speziell die von Organen und Vertretern ausländischer Staaten, strafbar sein können. Was von alledem Jan Böhmermann nach seinem Schmähgedicht auf den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan hilft oder ihm schadet, ist noch unklar. Klar aber ist, dass die Affäre um Böhmermann alles andere als lustig ist. Deutschland hat sich erpressbar gemacht, genauer gesagt: seine Bundeskanzlerin. Zu entschuldigen gibt es wenig in der Sache. Böhmermanns Schmähgedicht ist nicht witzig. Es ist beleidigend. Aber das sollte es ja auch sein. Es war eine Replik auf die Kritik Erdogans an einer anderen Satire des Magazins "Extra 3" über den türkischen Staatschef. Sie sollte verletzen, sie sollte provozieren. Und die Tatsache, dass das ZDF Böhmermanns Beitrag nachträglich aus der Mediathek löschte, zeigt, dass diese Provokation ihr Ziel erreicht hat. Böhmermann hat offenbart, was viele schon befürchtet hatten: Dass der Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei die Gemeinschaft abhängig macht von einem Menschen, dem Grundrechte egal sind - und das ganz offensichtlich nicht nur im eigenen Land. Diese Beweisführung ist der eigentliche Erfolg Böhmermanns. Erdogans Ziel ist nur vordergründig die Satisfaktion für seine gekränkte Ehre, und die altertümliche Idee einer Wiedergutmachung passt sicher in das Weltbild eines Mannes, der sein Land am liebsten nach fundamental-islamischen Grundlagen umgestalten will. Wer sich ansieht, wie er den Kampf gegen den Islamischen Staat als Deckmantel dafür nimmt, die Kurden zu bekämpfen, muss erkennen, dass Erdogan skrupellos seine Machtinteressen vertritt. Dieser Wesenszug ist nicht neu. Brutales Vorgehen gegen die Opposition, gegen Andersdenkende, gegen Journalisten, das alles ist seit Jahren gut dokumentiert. Es konnte jahrelang auch gut kritisiert werden, weil die Türkei außer als Handels- und Natopartner keine entscheidende Rolle in der deutschen oder europäischen Politik spielte. Nur haben sich mittlerweile die Vorzeichen geändert. Ohne ein Abkommen mit der Türkei ist keine Lösung der Flüchtlingssituation möglich. Diese Analyse ist angesichts der Millionen von Flüchtlingen, die bereits seit Jahren in der Türkei Zuflucht gefunden haben, und angesichts der Tatsache, dass die Menschen vor allem via Türkei nach Europa kommen, richtig. Nur kann das nicht bedeuten, dass die problematischen Aspekte der Erdogan-Herrschaft ausgeblendet werden dürfen. Genau hier darf und muss Kritik erlaubt sein, und eine Form der Kritik ist die Satire, die ihrer Definition nach überzogen, schmerzhaft, böse sein soll, um ihren Sinn zu erfüllen. Sie muss irritieren, um Dingen die Maske herunterzureißen. Böhmermann ist Meister der ironischen Brechung. Der Skandal um das manipulierte "Stinkefinger"-Video mit dem damaligen griechischen Finanzminister Giannis Varoufakis ist der bekannteste Beweis dafür. Er hält mit der Empörung, die er auslöst, den Empörten einen Spiegel vor. Dieses Mal ist das für ihn viel unangenehmer geworden als sonst, und es könnte noch viel ungemütlicher werden, würde die Bundesregierung dem Drängen der Türkei nachgeben. Soweit darf es nicht kommen. Auf dem Spiel steht nicht nur die Glaubwürdigkeit der Bundeskanzlerin, nicht nur Böhmermann Freiheit, nicht sondern auch die unserer Gesellschaft.
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