Bielefeld (ots) - Als Barack Obama im Sommer 2008 an der Berliner Siegessäule sprach, feierten 200 000 Menschen den Kandidaten für das wichtigste Amt der Welt. Damals wollte Bundeskanzlerin Angela Merkel den umjubelten Hoffnungsträger nicht sehen. Acht Jahre später hat sich die Dynamik fast umgekehrt. Die Kanzlerin rollte dem US-Präsidenten auf seiner Farewell-Tour in Hannover den roten Teppich aus. Die Deutschen mögen ihn immer noch, aber mit Vorbehalten. Der NSA-Lauschangriff, die Handelspolitik und der Eindruck mangelnden Führungswillens der Supermacht haben den Präsidenten Sympathien gekostet. Sichtbarer Ausdruck dieses Wandels waren die Anti-TTIP-Demonstrationen beim Eintreffen Obamas. Dem US-Präsidenten ging es bei seinem fünften Besuch in Deutschland ein Stück weit um Schadenskontrolle. Aber auch um aktive Solidarität mit der bedrängten Gastgeberin Angela Merkel, deren Umgang mit der Flüchtlingskrise Obama überschwänglich pries. Ein wenig merkwürdig mutete dieses Loblied von dem Führer einer Supermacht schon an, die selbst beschämend wenige Flüchtlinge aus dem Mittleren Osten aufnimmt. Obwohl die USA nach dem Desaster im Irak und den Folgen daraus an der jetzigen Situation mit verantwortlich sind. Darüber hinaus haben die Zurückhaltung Obamas im Mittleren Osten und in der Auseinandersetzung mit Russland ein Vakuum geschaffen, das die Verbündeten der USA herausfordert. Deutschland versucht es in Europa wider Willen zu füllen, stößt dabei aber an Grenzen. Wirtschaftlich kann die Macht im Herzen des Kontinents vor Kraft kaum gehen. Für ihre Sicherheit bleibt sie aber auf den Schutz des großen Bruders angewiesen. Das gilt für Europa insgesamt, dessen Zwergen-Armeen Schwierigkeiten hätten, die Außengrenzen der EU wirksam zu verteidigen. Die Verbündeten tun sich erkennbar schwer mit der neuen Lastenverteilung. War es früher doch recht bequem, den US-Amerikanern die militärische Kärrnerarbeit zu überlassen, während die Europäer mit Zwischenrufen aus der Loge glänzten. Obama erwähnte diese transatlantische Schieflage in seiner Grundsatzrede von Hannover, als er Europa zur Übernahme größerer militärischer Verantwortung aufforderte. Paradoxerweise hatte sich der alte Kontinent nach George W. Bush nichts mehr als einen Präsidenten gewünscht, der nicht im Alleingang handelt. Obama weist zurecht darauf hin, dass die größte Gefahr für die freie Welt die nationalistischen Tendenzen darstellen, die zur Desintegration Europas und der Nato beitragen. Ein Prozess, der durch die Flüchtlingskrise und den möglichen »Brexit« gefährlich beschleunigt wird. Nüchtern betrachtet hat das verbreitete Unbehagen weniger mit Obama zu tun als mit einem Europa, dem die Vision abhanden zu kommen droht.
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