Regensburg (ots) - Am 22. Mai reist Angela Merkel zum ersten UN-Nothilfegipfel nach Istanbul. Als der Termin vor drei Jahren beschlossen wurde, ahnte noch niemand, welch zentrale Rolle die Türkei in der europäischen Flüchtlingspolitik bald spielen würde. Doch mittlerweile wurde ein "Flüchtlingspakt" auf den Weg gebracht, der die Regierung in Ankara verpflichten soll, den Weg über die Ägäis abzuriegeln und illegal in die EU Einreisende zurückzunehmen. Als Dankeschön winken Geld und Reisefreiheit für türkische Bürger. Humanitäre Organisationen geißeln den Pakt als unmenschlich, aber auch Horst Seehofer ist nicht begeistert. Die Gründe für die Kritik sind naturgemäß unterschiedlich. Organisationen wie Pro Asyl sorgen sich um das Schicksal der Flüchtlinge, von denen viele an der syrisch-türkischen Grenze abgewiesen, andere nicht menschenwürdig untergebracht und versorgt würden. Human Rights Watch erklärt, gestützt auf Zeugenberichte, in den vergangenen zwei Monaten seien von türkischen Grenzbeamten fünf Menschen getötet und 14 bei dem Versuch verletzt worden, aus Syrien in die Türkei einzureisen. Die CSU wiederum bemängelt, dass die Türkei als Dank für die Hilfe nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch Visumfreiheit für ihre eigenen Staatsbürger bekommen soll. Das könne eine Ausreisewelle von Kurden auslösen, die in der Türkei verfolgt würden. Deutschland, wo schon jetzt viele Kurden lebten, sei deren natürliches Ziel. Horst Seehofer ist ferner der Meinung, dass man den Flüchtlingspakt überhaupt nicht braucht, da die Balkanroute zwischen Griechenland und den übrigen Schengenstaaten ja ohnehin geschlossen ist und kaum mehr Flüchtlinge durchkommen. Diese Sicht der Dinge setzt stillschweigend voraus, dass die Grenzkontrollen auf Dauer erhalten bleiben und das Europa der Reisefreiheit der Vergangenheit angehört. Griechenland würde dadurch zu einem gigantischen Flüchtlingslager, da die Menschen ja weiterhin aus der Türkei kämen und nicht nach Norden weiterwandern könnten. Die Kritik der Menschenrechtsorganisationen würde keinesfalls verstummen, denn erst kürzlich hat der UN-Sonderberichterstatter für Flüchtlingsrechte die Überfüllung der griechischen Lager und die ungewisse Zukunft der Menschen dort kritisiert. Der Flüchtlingspakt hat also die nützliche Funktion, Griechenland zu entlasten und Schlepper abzuschrecken. Gleichzeitig macht er die EU aber auch enorm erpressbar. In den vergangenen Tagen testete der türkische Staatspräsident Tayyip Erdogan bereits, zu welchen Konzessionen die EU bereit sein könnte, um ihr Flüchtlingsproblem zu lindern. Er möchte die Visumfreiheit, ohne die zuvor gegebene Zusage einzuhalten, den Terrorismusbegriff europäischen Standards anzupassen. Eine für den 2. Juni geplante Bundestagssitzung, die sich mit dem türkischen Völkermord an den Armeniern befassen soll, versucht er ebenfalls zu stoppen. Andernfalls, so machte Erdogan unmissverständlich klar, werden wieder mehr Flüchtlinge über die Ägäis kommen. Europa schafft es nicht, seine Außengrenzen mit vereinten Kräften zu sichern, alle Hilfsbedürftigen ordentlich zu versorgen und gerecht auf die Mitgliedsländer zu verteilen. Deshalb setzt die Politik verstärkt darauf, diese lästige Aufgabe auf die Anrainerstaaten zu verlagern und zahlt dafür einen hohen Preis. Es ist nicht damit getan, Millionen Euro für die Versorgung in Lagern außerhalb der EU aufzubringen. Länder wie Marokko oder die Türkei erwarten sich zusätzlich eine außenpolitische Aufwertung. Sie wollen gleichberechtigt im Kreis der Demokraten sitzen. Dass dieser moralische Preis ungleich höher ist als der materielle, muss jedem bewusst sein.
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