Regensburg (ots) - Sage einer, die parlamentarische Demokratie sei langweilig und altmodisch: In einer emotionalen Achterbahnfahrt von wenigen Wochen und nach rasantem Finish ist die Nation schon in den Tiefen des Rechtspopulismus angelangt und hat sogar eine kleine Etappe Geisterbahn durch die Vergangenheit zurückgelegt. Und plötzlich ist alles anders. Ein roter Kanzler, ein grüner Präsident: Für Österreich, wo die Grünen noch nie mitregieren durften, ist das die eigentliche Sensation. Ausdruck der Stimmung im Lande ist die Wahl eines grünen Präsidenten gewiss nicht. Aber sie kann die Stimmung umkehren. Österreich ist verunsichert, seit langem chronisch schlecht gelaunt. Aber Österreich ist nicht so rechts, nicht einmal so konservativ, wie man es sich in Deutschland gern einredet. Schon gar nicht ist es ein Land voller Nazis. Mit Witzeleien über die "Bräune" des kleineren Nachbarlands setzen wir Weltmeister in Vergangenheitsbewältigung nur selbst den nationalen Lorbeerkranz aufs Haupt. Österreich ist aber auch ganz anders und widerlegt, wie jede andere Nation auch, schon beim ersten Besuch spielend die Klischees, die man sich von ihm macht. Alexander van der Bellen ist ein Österreicher durch und durch. Mit seiner Gelassenheit, seiner Selbstironie, seiner Toleranz und seiner Widerständigkeit gegen die Zumutungen von Konformismus und Spießertum, rechtem ebenso wie linkem, verkörpert der 72-Jährige eine sympathische Seite der österreichischen Identität. Man müsste sich nicht wundern, wenn der Grüne ein sehr populäres Staatsoberhaupt würde. Rot-grün ist Österreich deshalb noch lange nicht. Das Ergebnis vom Sonntag steht gegen einen langen Trend und ist nur als eine Art letztes Aufgebot zustande gekommen. Van der Bellen gewählt haben nicht nur rote und grüne, sondern auch alle liberale und sehr viele konservative Parteigänger. Ihre Stimmen hat der künftige Präsident seit dem ersten Wahlgang nur treuhänderisch verwaltet. Es galt, den Rechtspopulisten zu verhindern. Das ist gelungen, aber um einen hohen Preis. Nach dem Ergebnis vom Sonntag stehen sich fortan zwei ganz anders definierte Lager gegenüber. In das eine gehören sämtliche politische Parteien und mehr noch so gut wie alle gesellschaftlichen Kräfte, die das Land seit 1945 geprägt haben. Das andere dagegen will eine andere Republik - eine autoritäre, manchmal plebiszitäre, aber nur dann, wenn eine Aufwallung des "gesunden Volksempfindens" den Populisten zupasskommt. Rechnet man die Ergebnisse der letzten Jahre hoch, wird der große Machtwechsel nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die Kurve der "Blauen" ist - mit einer einzigen Delle - seit Mitte der 1980er Jahre nur nach oben gegangen. Wer sich gegen die Regeln der Arithmetik aufbäumt, pflegt in der Regel den "Stil" der Regierung zu kritisieren, sie zu ermahnen, doch nicht zu sehr zu streiten, ihr mehr Effizienz abzuverlangen. Will man nicht als zänkisch und unentschlossen dastehen, muss der Konflikt mit den "Blauen" auf einer anderen Ebene geführt werden. Es genügt nicht, sie nicht mitregieren zu lassen. Man muss auch klar sagen, warum. Hier liegt die Chance und womöglich die Stärke des neuen Bundespräsidenten von Österreich: Er kann einen anderen Ton anschlagen - einen klareren, präziseren, ehrlicheren. Nachdem sein rechter Gegenkandidat schon wochenlang "ein neues Amtsverständnis" plakatiert hat, könnte van der Bellen das Versprechen wahrmachen und tatsächlich, wie seine großen deutschen Amtskollegen von Heinemann über Weizsäcker bis Gauck, durch das Wort wirken.
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