Regensburg (ots) - Joachim Gauck ist ein guter Bundespräsident. Das zeigt sich nicht zuletzt jetzt, da er angekündigt hat, sich nicht noch einmal der Wahl zu stellen. Die Größe und der Mut, zu sagen, wenn man sich nicht mehr zutraut, sein Amt auszufüllen, sind nicht selbstverständlich. Gauck hat dem Amt nach einem unwürdigen Rummel um seinen Vorgänger Christian Wulff Würde zurückgegeben. Wenn der 12. Februar 2017 vorbei und ein neuer Bundespräsident gewählt ist, wird sich zeigen, ob diese Würde beim Amt geblieben ist. Gauck war ein Konsenspräsident. Mit ihm hat jeder leben können; eine Wiederwahl wäre so gut wie sicher gewesen. Seine Weigerung, noch einmal anzutreten, bedeutet daher für alle: Sie müssen Farbe bekennen. Keine Partei wird ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin allein durchsetzen können. Die Frage, wer wen unterstützt, wird eine Vorentscheidung sein dafür, wer mit wem künftig auf Bundesebene zusammenarbeiten möchte und kann. Dieser Zwang, Koalitionen, auch neue, zu formen, ist das Gute an der eigentlich schlechten Nachricht, dass Gauck aus Bellevue ausziehen wird. Denn eines ist klar: Der amtierende Bundespräsident war ein Glücksfall. Sein Thema - Freiheit - mag dem einen oder anderen oftmals sperrig vorgekommen sein. Und dennoch hat es in den vergangenen Monaten neue Aktualität erhalten; "Lügenpresse" ist das Stichwort. Die Bilder vom Sommer und Herbst 2015 und die aufgeheizte Stimmung im Zuge der Debatte um die Flüchtlinge, die Eskalation nach den Übergriffen in der Silvesternacht von Köln und anderer Städte, die Pegida-Demonstrationen und das Erstarken einer rechtspopulistischen Partei wie der AfD zeigen, dass sich unser Land massiv verändert hat. Es sind neue Kräfte am Werk. Sie stellen die Arbeit der etablierten Parteien infrage und decken auf, dass ein nicht zu unterschätzender Teil der Menschen sich ihrer politischen Heimat beraubt sieht. Man darf nicht jedem, der schreit, glauben, dass es wirklich einen Grund gibt, zu schreien. Aber die Zahl der Rufenden ist zu groß geworden, um sie zu ignorieren. Das muss Folgen haben: für die Parteien, für unsere Gesellschaft, für unser Selbstverständnis als demokratisches Land. Es gilt, Konzepte und Rezepte zu finden: dafür, wie dieser Unmut, der sich bei Zeiten zwar unangenehm, aber friedlich, bei Zeiten laut und aggressiv Luft macht, eingefangen werden kann oder wie man ihm entgegentritt. Es gilt, Politik zu machen für die Menschen und mit ihnen. Es gilt auch, Front zu machen gegen diejenigen, die Hass schüren, um darauf aufbauend ihre Vorstellungen von einer deutschen Gesellschaft verwirklichen zu können. Der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin werden nicht vom Volk gewählt. Deswegen wird es umso wichtiger sein, dass der oder diejenigen, die als Kandidaten ausgewählt werden, Symbol sein können für einen Staat, dessen Innerstes sich gewandelt hat. Der multikultureller, aber auch verunsicherter ist, der freundliche Gesichter für ankommende Flüchtlinge ebenso kennt wie grölende Meuten vor Flüchtlingsbussen. Gauck mag ein Gemeinschaftsprodukt von Union, SPD, FDP und Grünen gewesen sein, aber er war unabhängig genug, um zu mahnen, wenn er das Gefühl hatte, dass die Politik die Sorgen der Menschen ignorierte. An der Frage, wer für das Amt des Staatsoberhauptes nominiert wird, wird sich zeigen, ob die Parteien erkannt haben, in welcher Zeit wir leben. Das Gute daran: Allein durch diesen Zwang wird hoffentlich deutlich, dass in Berlin eben nicht alle unter einer Decke stecken. Dieser Zwang, Flagge zu zeigen, ist vielleicht der größte Dienst, den Joachim Gauck seinem Land in den kommenden Monaten erweisen wird.
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