Regensburg (ots) - Für Triumphgeheul ist es noch deutlich zu früh. Ob die EU den Verlust Großbritanniens, eines wirtschaftsstarken und international einflussreichen Mitglieds, halbwegs unbeschadet übersteht, wird sich erst in ein paar Jahren sagen lassen, wenn die Austrittsverhandlungen abgeschlossen sind. Aber eine Woche nach dem Exit-Votum der britischen Wähler lässt sich immerhin feststellen, dass der Schock für Kontinentaleuropa längst nicht so drastisch ausgefallen ist, wie fast alle Kommentatoren im Vorfeld fürchteten. Die Lage auf der Insel hingegen ist weitaus verheerender, als erwartet wurde. Doch den verbleibenden 27 Regierungen ist klar, dass der Katzenjammer der Briten zwar kurzfristig ein ganz gutes Gegengift gegen den Höhenflug rechtspopulistischer Bewegungen in Frankreich und den Niederlanden ist. Der allgemeinen Unzufriedenheit vieler Europäer mit der EU und dem Brüsseler Politikbetrieb muss aber mit nachhaltigeren Mitteln begegnet werden. Ihren zweiten Gipfeltag wollten die Chefs der verbliebenen 27 Staaten deshalb darauf verwenden, einen Fahrplan für die Erneuerung der EU festzulegen. Außer den alt bekannten Floskeln zu Wachstum und Beschäftigung kam aber nicht viel dabei heraus. Angesichts der historisch einmaligen Lage fällt die Schlusserklärung erstaunlich dürr und dürftig aus. Man versichert sich gegenseitig, entschlossen zusammenzustehen und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts im Interesse der eigenen Nationen und Völker zu meistern - was immer das heißen soll. Die Begeisterung der Europäer für das gemeinsame Projekt wird man mit diesen angestaubten Worten nicht neu entfachen. Doch es gibt gute Gründe, warum die Treueschwüre europäischer Politiker meist so substanzlos klingen wie Waschmittelwerbung. Ginge man ins Detail, würden unüberbrückbare Gegensätze offenbar. Nord gegen Süd, Nettozahler gegen Hilfsempfänger, Verfechter der Schwarzen Null gegen Vertreter eines öffentlich angekurbelten Wachstums, Protektionisten gegen Wirtschaftsliberale - im Vergleich zu den Interessensgegensätzen, die auf europäischer Ebene überbrückt werden müssen, ist die große Koalition in Berlin ein äußerst homogener Verein. Deshalb hat die Methode, Konflikte nicht offen auszutragen, sondern hinter verschlossenen Türen zu mauscheln, in der EU eine so stabile Tradition. Das glasklare "Raus ist raus" in Richtung Britannien ist eine für die EU untypisch eindeutige Reaktion, die vom Schock des völlig unerwarteten Referendumsergebnisses provoziert war. Zu ähnlicher Klarheit werden sich die verbleibenden 27 Regierungen nicht noch einmal durchringen. Kommissionschef Junckers Rücktritt fordern, um ein Zeichen für einen Neuanfang zu setzen? Wer sollte ihn denn beerben? Und vor allem: Würde eine Personaldebatte nicht ganz sicher offenen Streit unter den Europäern auslösen? Endlich Ernst machen mit der Forderung, große Dinge in Brüssel zu regeln und die kleineren zurück in die Hauptstädte zu verlagern? Wie aber soll man sich einigen, was denn die großen und was die kleinen Dinge sind? Und was tun mit den Mitgliedsstaaten, die unstrittig große Dinge wie Migration, Wirtschaftsreformen und Sozialsysteme keinesfalls in die Hände einer europäischen Regierung legen wollen? Solange der europäische Club so groß und uneinheitlich bleibt, wird man mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner leben müssen. Die Debatte um ein enger kooperierendes Kerneuropa ist nach diesem Gipfel erst einmal wieder vom Tisch. Auf eindeutige Bekenntnisse und begeisternde Impulse aus Brüssel wird man auch in Zukunft vergeblich warten. Aber immerhin hat der Brexit allen Kontinentaleuropäern deutlich vor Augen geführt, dass nationale Alleingänge auch keine Alternative sind.
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