Cottbus (ots) - Nicht einen Moment lang ist die türkische Opposition der Versuchung erlegen, auf ein Gelingen des Putsches zu setzen und so den Autokraten Erdogan loszuwerden. Nicht einmal die Vertreter der Kurden haben darauf gesetzt. Die Opposition in der Türkei hat in der dramatischen Nacht zum Samstag eine große demokratische Reife bewiesen, die ihrem Präsidenten und seiner AKP schon lange abgeht. Dass sich das Volk so geschlossen gegen den Putsch gestellt hat, ist für dieses Land, in dessen Innenpolitik das Militär immer eine große Rolle gespielt hat, eine wichtige, vielleicht sogar historische Erfahrung. Nie wieder die Diktatur der Generäle. Umso schlimmer wäre es, wenn jetzt statt der Diktatur ein Diktator käme. Alles sieht aber danach aus, dass Machthaber Erdogan die Situation nutzen wird. Dass er nun nicht nur die Führer der Putschisten bestraft, sondern sich aller Kräfte entledigt, die seinem Ziel einer Präsidialherrschaft auf Lebenszeit und einer unauslöschlichen Hegemonie der AKP noch gefährlich werden können. Dann würde sich der Sieg der Demokratie gegen die Militärs in sein Gegenteil verkehren. Hier kommen auch die Europäer ins Spiel. Auch sie haben dem immerhin ursprünglich einmal demokratisch gewählten Erdogan in dieser Krisensituation beigestanden, wenn auch nicht mit Vergnügen. Das war klug. Umso mehr haben sie jetzt das Recht und die Pflicht, von ihm Mäßigung zu verlangen. Und eine Korrektur seiner Politik. Rücksichtslosigkeit, Großmannssucht und vielleicht auch persönliche Vorteilsnahmen haben die Türkei in diese Krise getrieben. Europa muss Erdogan deutlich machen, dass es von ihm ein Ende dieser Politik der inneren und äußeren Konfrontation erwartet. Jetzt, wo er zu seiner großen Schlussoffensive ansetzt, muss ihm das klar gemacht werden, nicht wenn es zu spät ist. Schon die Frage der Visafreiheit muss daran geknüpft werden, ob die grundlegenden Freiheits- und Menschenrechte eingehalten werden. Schon die Festnahme von Juristen und anderen, die mit dem Putsch nichts zu tun haben, muss scharfe internationale Proteste nach sich ziehen. Auch wenn es vielleicht den Flüchtlingsdeal kostet. Jetzt geht es um mehr. Freilich, Europa ist selbst derzeit nicht unbedingt ein Ausbund politischer Reife, wenn man an seine dumpfen Nationalisten denkt, die überall immer stärker werden. Oder daran, dass ein Spieler wie der Brite Boris Johnson Außenminister in einem der wichtigsten Länder wird. Vielleicht aber dämmert es angesichts der Ereignisse des vergangenen Wochenendes, den Anschlag von Nizza eingeschlossen, endlich den Verantwortlichen überall in Europa, was ringsherum los ist. Es brennt, von Nordafrika bis Donezk.
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