Regensburg (ots) - Es ist schon seltsam. Deutschland geht es so gut wie lange nicht. Die Wirtschaft brummt, die Steuereinnahmen sprudeln. Der Staat investiert mehr als je zuvor und kann endlich daran gehen, seinen riesigen Schuldenberg abzutragen. Selbst das - längst noch nicht gelöste - Flüchtlingsthema beherrscht nicht mehr die Schlagzeilen. Dennoch wirkt die Berliner Dreierkoalition, die sich gestern im Kanzleramt traf, paralysiert. Sie driftet ein Jahr vor ihrem Ende immer weiter auseinander. Dieser klaffende Widerspruch ist nicht erklärbar durch "harte Fakten", sondern vielmehr mit Stimmungslagen, Ängsten, Ratlosigkeit. Diese Gefühle treiben nicht nur jene um, die die rechtspopulistische AfD wählen. Das ist in Deutschland nach wie vor eine Minderheit. Unsicherheit hat jedoch auch viele andere Menschen, Wähler und Wählerinnen ergriffen. Und - nun wird es politisch - sie trauen der noch bis vor Jahresfrist verehrten und vertrauten Kanzlerin Angela Merkel nicht mehr zu, das Staatsschiff zuverlässig zu navigieren. In manchen Zeitungen werden bereits Abgesänge auf sie verfasst. Sie sei dem Volk "entrückt", wie etwa Adenauer oder Kohl in ihren letzten Amtsjahren. Ist da etwas dran? Ja und nein. Die CDU-Chefin hat mit ihrer nächtlichen Entscheidung vom 4. zum 5. September 2015 die deutschen Grenzen für Bürgerkriegsflüchtlinge aufgemacht. Doch allein diese, aus dem Herzen getroffene Entscheidung war nicht fatal, sondern die folgende mehrwöchige Zeit, in der an den Grenzen nahezu kontroll- und rechtsfreie Zustände herrschten. Mit dem Satz "Wir schaffen das" waren und sind alle Folgeprobleme nicht im Handumdrehen gelöst, von Unterbringung, Versorgung, Integration derer, die im Land bleiben dürfen, bis zur Abschiebung derer, die wieder gehen müssen. Den wichtigen Unterschied zwischen Flüchtlingen, die das Land wieder verlassen müssen, wenn der Krieg vorbei ist, und Asylbewerbern, die wegen politischer und sonstiger Verfolgung hier bleiben, wurde in der öffentlichen Wahrnehmung nicht gemacht. Tief sitzende Ängste gegen Fremde, anders Gläubige, anders Aussehende brachen auf. Längst nicht bei allen, aber bei vielen. Das hätte Merkel eigentlich wissen müssen. Doch nun werden ihr alle schlimmen Vorfälle, von der Kölner Silvesternacht, dem Münchner Amoklauf, der Axtattacke von Würzburg bis zum Bombenanschlag von Ansbach in die Schuhe geschoben. Obwohl all diese schlimmen Geschehnisse im engen Sinne nichts mit der jüngsten Flüchtlingswelle zu tun hatten. Die AfD, die vor einem Jahr nahezu erledigt war, sog Honig aus dieser Malaise. Merkel muss weg, heißt ihre griffige Losung. Und sie verfängt bei vielen Menschen, die sich Sorgen machen, die von etablierten Parteien, verantwortlichen Politikern keine Antworten auf ihre Fragen bekommen. Eine solche "Die-muss-weg-Bewegung" kann sich leicht verselbstständigen, kann zur Lawine werden. Selbst wenn der Auslöser nur ein kleiner Fehltritt war. Ob Merkel, die in der Union immer noch alternativlos ist, nun die Nerven behält, ist offen. Die Koalition ist genauso zerrissen wie das übrige Volk. Der tiefe Dissens in der Flüchtlingspolitik, von Horst Seehofer auf der CSU-Klausurtagung in der Oberpfalz noch einmal kräftig angeblasen und gestern in Berlin nicht beigelegt, hindert die Regierung leider ebenfalls daran, vernünftig zu regieren, die anstehenden Sachthemen pragmatisch zu lösen. Und genau das tut dem Land, seinen verunsicherten Bürgern, der Demokratie nicht gut. Der AfD jedoch, die nur Protest schürt, aber keine Lösungen anbietet, verschafft es Zulauf. Die Regierungskoalition sollte ordentlich ihre Arbeit machen, statt ständig auf die AfD zu schauen wie das Kaninchen auf die Schlange.
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