Regensburg (ots) - Nur auf den ersten Blick unterscheiden sich die Reaktionen von Angela Merkel und Sigmar Gabriel auf das Wahldesaster der Berliner Landtagswahl. Die Kanzlerin übernimmt die Verantwortung, dass ihre Flüchtlingspolitik mit zum dramatischen Absturz der Hauptstadt-CDU beigetragen hat. Selbst den Satz "Wir schaffen das" mag die CDU-Vorsitzende heute nicht wiederholen. Zu vieles sei in diese drei Worte hineinprojiziert worden, was sie niemals vermutet und niemals beabsichtigt hätte. Merkel habe anspornen, Mut machen wollen, dass die Herausforderung der Flüchtlingswelle gemeistert werde. Doch in der "Realität der Gefühle", im Zeitalter des "Post-Faktischen", in dem harte Fakten scheinbar nicht mehr zählten, sei bei vielen Menschen das Gegenteil dessen eingetreten, was Merkel bezweckt habe. Frust, sogar Hass: Merkel muss weg! Und deshalb versucht es die einst umjubelte und nun so viel gescholtene Kanzlerin jetzt eben mit Gefühlen. Ihr Gefühl sage ihr, dass wir aus dieser "Phase" besser heraus kommen, als wir hinein gegangen sind. So ähnlich hatte Merkel in der schweren Finanzkrise 2008/09 gesprochen. Und ihr dürfte auch heute klar sein, dass sie ausgewiesene Merkel-Kritiker - im Volk, in der CSU, erst Recht in der AfD - nie und nimmer wird überzeugen können. Aber darum geht es ihr nicht vordergründig. Merkel hat gestern, indem sie eigene Fehler und Versäumnisse in der Flüchtlingskrise offen einräumte, zugleich ihren Machtanspruch bekräftigt. Wer immer Angela Merkel aus dem Kanzleramt verdrängen will, bekommt es mit einer klugen, strategisch denkenden Politikerin zu tun. Den Kampf um die Macht hat Merkel nicht aufgegeben. Sie hat ihn grade erst neu eröffnet. Und sie kann auch Gefühl. Der andere Machtpolitiker, SPD-Chef Sigmar Gabriel, wählte unterdessen einen anderen Weg. Statt wegen der Berliner Verluste in Sack und Asche zu gehen, ließ er den kleinen SPD-Parteitag über den heftig umstrittenen Freihandelsvertrag mit Kanada diskutieren. Doch einen Eklat, wie noch bei seiner Wiederwahl im vorigen Dezember, erlebte Gabriel diesmal nicht. Zwei Drittel des Parteikonvents seien ihm gefolgt. Auf eine genaue Auszählung wurde allerdings verzichtet. Merke: Mit geschickter Parteiregie können Erfolge gleichsam vorprogrammiert werden. Innerparteiliche zumindest. Gabriels Kalkül, das Handelsabkommen mit Kanada absegnen zu lassen und dies gleichsam als Unterstützung seines Kurses auszugeben, ist voll aufgegangen. Der SPD-Chef ist dabei, aus den Streitereien der beiden Unionsparteien und aus Merkels Wackeln, Kapital zu ziehen. Und wer weiß, wenn die Ergebnisse der Bundestagswahl im September 2017 für die beiden einst so großen Volksparteien ähnlich mickrig ausfallen wie die der Berliner Landtagswahl, dann könnte der umtriebige SPD-Chef vielleicht doch noch irgendwie Kanzler werden. Zusammen mit den Grünen, den Linken, der FDP, mit wem auch immer. So unterschiedlich Merkel und Gabriel vom Naturell, von ihrem Werdegang und von ihren politischen Positionen und Überzeugungen her sind, beide sind gewiefte Taktiker der Macht und zugleich pragmatische Politiker. Und sie gehen beide Risiken ein. So oder so. Ob die CDU-Chefin mit ihrer Gefühls-Offensive bei ehemaligen Unionsanhängern, die heute bei der Protest-AfD gelandet sind, wird zurück holen können, ist fraglich. Gabriels möglicher Schwenk zu Rot-Rot-Grün im Bund 2017 ist es auch.
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