Vor wenigen Wochen hatte die Internationale Energiebehörde (IEA) ein Ende des Überangebots an Rohöl bereits im laufenden Jahr 2016 vorausgesagt. Inzwischen geht die Agentur jedoch davon aus, dass auch noch im ersten Halbjahr 2017 das Angebot die Nachfrage übersteigen wird. Verantwortlich dafür sei unter anderem ein langsameres Wachstum der weltweiten Nachfrage nach Öl. Aber wohl auch die nach wie vor steigenden Fördermengen dürften die IEA zu dieser Prognoseanpassung veranlasst haben.
Trotz Einigung: OPEC fördert so viel Öl wie seit mindestens 2008 nicht mehr
Denn die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) scheint weit entfernt davon, ihre eigenen Pläne zur Förderbegrenzung umzusetzen. Im September haben die OPEC-Staaten so viel Öl gefördert wie seit mindestens 2008 nicht mehr. Mit täglich 33,39 Millionen Fass wurden 220.000 mehr gefördert als im August. Eigentlich hatten sich die OPEC-Staaten darauf verständigt, die Produktion auf 32,5 bis 33,0 Barrel täglich zurückzufahren (siehe auch Börse-Intern vom 29. September).
Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass die Einigung erst Ende September auf einem informellen Treffen erzielt wurde und es noch keinen offiziellen Beschluss dazu gibt. Erst bei einem offiziellen OPEC-Treffen im November sollen die genauen Fördermengen festgelegt werden.
Ölpreis hält sich auf dem Zielkurs von 50 USD
Trotz dieser höheren Fördermengen, die kurzfristig eigentlich klar für fallende Ölpreise sprechen, konnten sich die Notierungen auf dem erreichten Niveau von rund 50 USD und damit auf unserem Zielkurs halten (siehe "OPEC-Beschluss führt zu leicht höherem Zielkurs für Rohöl" ).
Auf den ersten Blick scheint es damit so, als würde sich der Ölpreis aktuell von den Fundamentaldaten lösen. Doch das ist nicht der Fall. Vielmehr kommt es zu diesem Eindruck, weil der Fokus der Berichterstattung meist nur auf den großen Ölförderländern wie den OPEC-Staaten, Russland oder den USA liegt. Derweil werden die vielen anderen Länder, die Öl fördern, außer Acht gelassen. Doch genau diese Länder sorgen am Ölmarkt für ein Gegengewicht.
Venezuela möchte, aber kann nicht
Anfang des Jahres wurde die weltweite Überproduktion noch auf 1,5 Mio. Barrel geschätzt. Doch ein Drittel dieser Überproduktion ist seit Jahresbeginn allein deshalb weggefallen, weil Venezuela weniger gefördert hat. So ist die dortige Ölproduktion von einem mehrjährigen Hoch bei knapp 3 Mio. Barrel pro Tag im Jahr 2014 auf nur noch 2,15 Mio. Barrel im Juli gesunken.
Man fragt sich, was ist da los? Will Venezuela kein Geld verdienen? Sicherlich schon, aber auch hier ist der Grund der gesunkene Ölpreis. Venezuela fördert nämlich nicht freiwillig weniger Öl. Vielmehr haben die niedrigen Ölpreise das Land zu einer Reduktion der Förderung gezwungen. So ist das Land für die eigene Ölförderung auf Dienstleistungen und Vorprodukte aus anderen Ländern angewiesen. Diese konnten aber nicht mehr finanziert werden, weil durch die gesunkenen Ölpreise weniger Devisen ins Land geflossen sind (Öl wird in US-Dollar gehandelt) und letztlich daher die zuvor angehäuften Dollarreserven aufgezehrt wurden. Ölfirmen wie Schlumberger und Halliburton haben daraufhin ihre Aktivitäten in dem Land drastisch heruntergefahren, nachdem Venezuela bei Ihnen knapp 2 Mrd. Dollar Schulden angehäuft hat.
So könnte es zum Gleichgewicht auf dem Ölmarkt kommen
Solange Venezuela seine Rechnungen nicht zahlt, wird sich daran auch nichts ändern. Und es ist schwer zu sagen, welchen Ölpreis das Land braucht, um wieder ausreichend Dollarliquidität zu generieren, damit es seine Zulieferer bezahlen kann. Experten gehen davon aus, dass ein Preis von mehr als 60 Dollar benötigt wird. Da dieses Niveau aber noch in weiter Ferne liegt, wird Venezuelas Ölproduktion voraussichtlich sogar um weitere 400.000 Barrel pro Tag sinken. Das weltweite Überangebot würde sich dann auf "nur noch" 600.000 Barrel pro Tag reduziert.
Zusammen mit dem Wachstum der Nachfrage, welches im kommenden Jahr auf 1,2 Mio. Barrel geschätzt wird, könnte es dann zu dem Gleichgewicht kommen, das die IEA inzwischen für das zweite Halbjahr 2017 erwartet (siehe oben) - allerdings vorausgesetzt, die anderen Ölförderländer weiten ihre Förderung nicht doch noch weiter aus.
Fazit
Die Erwartung des OPEC-Beschlusses im November zur Fördermengenbegrenzung scheint den Preis derzeit zu stützen. Auch die Aussicht auf ein fundamentales Gleichgewicht am Markt im kommenden Jahr hält den Preis stabil. Sollten sich die aktuellen Tendenzen einer Ausweitung des Ölangebots allerdings fortsetzen und/oder es am Ende doch nicht zu dem angekündigten OPEC-Beschluss kommen, wird das den Ölpreis sicherlich wieder schwer belasten. Dann wird der Preis unter Umständen sogar wieder an die Tiefs bei 43 und 40 USD zurückfallen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage
Ihr
Sven Weisenhaus