Regensburg (ots) - Wer geglaubt hat, ein paar Tage nach Verkündung ihrer erneuten Kanzlerkandidatur werde Angela Merkel im Bundestag mit einem rhetorischen Feuerwerk bereits den Bundestagswahlkampf 2017 eröffnen, wurde gestern eines besseren belehrt. Erstens sind mitreißende Reden nicht die Sache der eher nüchternen Physiker-Kanzlerin. Und zweitens sind in der jetzigen unübersichtlichen Situation nicht Haudrauf-Wahlkampf angesagt, sondern Ruhe an Bord und Verlässlichkeit. Demonstrativ suchte Merkel in der gestrigen Generaldebatte die Nähe und das Gespräch mit Vizekanzler Sigmar Gabriel, lobte SPD-Minister und pries die gemeinsame Politik der Großkoalition, als könne es keine bessere geben. In stürmischen Zeiten will die Kanzlerin mit ihrer Politik ein Fels in der Brandung sein. Ob das allerdings im kommenden Jahr zu ihrer Wiederwahl - und damit zur vierten Kanzlerschaft in Folge - ausreichen wird, ist eine völlig offene Frage. Dass die Opposition Merkel dagegen als visionslose Managerin der Macht darstellt, ist geschenkt. An der Zähigkeit, aber auch dem Reformwillen der Ostdeutschen im Kanzleramt haben sich bereits viele Oppositionelle, aber auch Unionskollegen, die Zähne ausgebissen. Wer die Rede Merkels genau verfolgt, wird auch auf die kleinen Botschaften stoßen, mit denen sie scheinbar schon oft Gesagtes garnierte. Merkel gibt sowohl die Weiter-so-Kanzlerin, als auch die Wir-haben-verstanden-und-ändern-das-Regierungschefin. Dass sie die Zahl der Hartz-IV-Empfänger im Land für viel zu hoch hält, war ein solcher Satz. Dass sie der Rentenversicherung weiterhin mit milliardenschweren Zuschüssen unter die Arme greifen will, ein anderer. Dass sie den Verteidigungsetat kräftig auf die von der Nato geforderte Größenordnung hochschrauben will, war eine weitere Ankündigung, auch wenn es dafür keinen Beifall gab. Merkels Kritiker haben allerdings insofern Recht, dass sie jetzt nicht klipp und klar sagt, wohin sie Deutschland künftig steuern will. Sie bleibt vielmehr im Grundsätzlichen, beschwört die Werte von Freiheit, Demokratie, Menschenrechten. Freilich ist das in einer Welt, in der sich Populisten verschiedener Coleur anschicken, politische Macht zu erhalten, schon eine ganze Menge. Merkel beschreibt das Wertefundament, auf dem internationale und Bündniszusammenarbeit nur möglich ist. Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges stand dieses Fundament derart infrage wie derzeit. Geschichte ist nach vorn offen. Denkbar wäre auch, dass sich Tendenzen des Nationalismus, der Abschottung, des Protektionismus durchsetzen, wie dies etwa bei Donald Trump durchschimmert. Um einer solchen Entwicklung etwas entgegensetzen zu können, braucht es gute Argumente und enormes Verhandlungsgeschick, braucht es eigene Kraft und Bündnisstärke. Wenn sich Europa nicht bald berappelt und die derzeitigen Fliehkräfte - siehe Brexit - eindämmt, wenn es nicht weiterhin ein attraktiver, lebendiger Hort von Demokratie und Wohlstand bleibt, dann sind die Aussichten, weltpolitisch betrachtet, eher düster. Innenpolitisch gilt das genauso. Merkel, die unbestrittene Nummer eins auf dem alten Kontinent und in Deutschland sowieso, weiß um ihre riesige Verantwortung. Vielleicht fiel auch deshalb ihre Bundestagsrede so nachdenklich aus. Die nächsten Monate werden kein leichter Gang. Unerwartete Unterstützung bekam Merkel gestern ausgerechnet von einem ihrer schärfsten Kritiker. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter forderte alle Fraktionen auf, sich gemeinsam dem um sich greifenden Nationalismus entgegenzustellen. Auch so eine kleine, aber wichtige Botschaft.
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