Bielefeld (ots) - Falls der türkische Präsident Erdogan geglaubt haben sollte, die Lage in seinem Land mit Hilfe des Ausnahmezustandes unter Kontrolle bringen zu können, dann hat er sich getäuscht. Obwohl die Sicherheitsbehörden freie Hand bei der Verfolgung von Verdächtigen haben, können Gewalttäter unbemerkt mit einer 300-Kilo-Autobombe mitten ins Stadtzentrum von Istanbul fahren und ein Blutbad anrichten. Spätestens der schreckliche Doppel-Anschlag macht deutlich, dass der immer weiter vorangetriebene Ausbau polizeilicher Vollmachten und der Abbau rechtsstaatlicher Absicherungen den Terror nicht aufhalten können. Manche Kritiker werfen Erdogan vor, mit den Säuberungswellen seit dem Putschversuch vom Juli viele Antiterror-Experten von ihren Posten entfernt zu haben. Mehr denn je hätte die Türkei jetzt eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über Freiheitsrechte, Minderheiten und die Instrumente des Rechtsstaates nötig. Doch daran ist nicht zu denken. Die Chefs der legalen Kurdenpartei HDP sitzen hinter Gittern, fast 200 Journalisten ebenfalls. Wer nicht für mich ist, ist ein Landesverräter: Mit dieser Formel will Erdogan die Errichtung einer Präsidialrepublik durchsetzen. Dieses neue System werde dem Land Ruhe und Stabilität bescheren, verspricht er. Doch zumindest vorerst eskaliert die Gewalt. Wichtige Kommunikationskanäle in der Politik sind unterbrochen. Der Dialog mit den Kurden, der lange die Hoffnung auf Frieden nährte, wurde eingestellt. Im Parlament setzt die Erdogan-Partei AKP auf ein Bündnis mit den Nationalisten, um ihre Ziele zu erreichen. Seit dem Putsch landen immer mehr Kritiker im Gefängnis, obwohl sie nichts mit dem Umsturzversuch zu tun hatten. Die demokratische Ausbruchstimmung des vergangenen Jahrzehnts erscheint wie ein ferner Traum. Die kommenden Monate versprechen keinerlei Verbesserung der Lage. Im Januar beginnt im Parlament die Debatte über die Umstellung auf das Präsidialsystem, im Frühjahr oder Sommer soll eine Volksabstimmung darüber stattfinden. Schon unter normalen Umständen würde ein solch umstrittenes Vorhaben ein Land in politische Turbulenzen stürzen. In der Türkei mit vielen ungelösten Konflikten und der seit dem Sommer stark zunehmenden Repression könnte das Blutbad von Besiktas der Auftakt einer neuen Welle von Gewalttaten gewesen sein.
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