Regensburg (ots) - Die Türkei kommt nicht zur Ruhe. Die jüngsten entsetzlichen Bombenanschläge von Istanbul reihen sich ein in eine blutige Serie von Gewalttaten, die das Land erschüttern. Die anhaltende Gewalt und die folgenden Vergeltungsaktionen der Sicherheitskräfte der Regierung und eines nach immer mehr Macht strebenden Staatspräsidenten machen das Land zu einem Pulverfass. Die Türkei wird mehr und mehr polarisiert und die Gewaltspirale dreht sich weiter. Mäßigung ist bei keiner der vielen beteiligten Seiten, Interessengruppen und Ethnien zu erkennen. Bei Recep Tayyip Edogan schon gleich gar nicht. Seit Juni 2015, als Erdogan die mühsam erzielte Entspannung im Verhältnis zu den Kurden über Bord warf und auf die militärische Karte setzte, sind bei 17 Bombenanschlägen mindestens 372 Menschen ums Leben gekommen und 1837 verletzt worden. Die Meldungen über Anschläge in der Türkei haben Konjunktur. Es besteht die Gefahr, dass hinter den nüchternen Zahlen der Opfer vergessen wird, dass es um menschliche Schicksale geht. Den Getöteten und Verletzten sowie ihren Angehörigen gilt Mitgefühl. Zugleich müssen die Täter und ihre Hintermänner ermittelt und bestraft werden. Dass Ankara wie bei früheren Anschlägen die kurdische Arbeiterpartei PKK verantwortlich macht, scheint, zumindest bis Beweise vorliegen, voreilig und politisch motiviert. Gegner haben die türkische Regierung und Erdogan viele. Nicht nur die PKK mit ihren diversen Ablegern, sondern auch kurdische Milizen in Syrien und im Irak, sowie die Bewegung des konservativ-islamischen Predigers Fethullah Gülen, mit dem Erdogan vor wenigen Jahren noch eng verbunden war. Und natürlich die islamistischen Terroristen des IS. Ankara kämpft an mehreren Fronten gleichzeitig - innerhalb und außerhalb des Landes. In ersten Reaktionen hat die türkische Regierung deutlich gemacht, wie sie auf die Anschläge reagieren wird: Mit neuer Gewalt. Erdogan sinnt auf Vergeltung gegen die "Pest des Terrors", wie er erklärte. Dabei werden ihm viele Landsleute folgen, die Anhänger seiner AKP sowieso. Erdogan versteht es meisterhaft, Wut und Patriotismus einer großen Mehrheit der Türken anzustacheln, aber auch für seine politischen Ziele zu instrumentalisieren. Dabei rückt völlig aus dem Fokus, dass es Erdogan selbst war, der mit seiner Politik militärischer Härte gegen Kurden und gegen wirkliche und vermeintliche Putschisten die Situation extrem verschärft hat. So bitter es klingt: Gewaltakte wie die von Istanbul verstärken den Ruf nach einem starken Mann, der mit präsidialer Macht den Staat führt. Erdogan lässt keinen Zweifel daran, dass nur er dieser Mann sein kann. Für Europa, das offiziell noch an einer EU-Mitgliedschaft der Türkei arbeitet, wird die Zusammenarbeit mit Ankara immer schwieriger. Mit verschärften Sicherheitsgesetzen, mit der Verfolgung von PKK-Sympathisanten, mit willkürlichen "Säuberungen" nach dem Juli-Putsch oder dem Streben nach Wiedereinführung der Todesstrafe hat Erdogan die Kluft zu Europa allerdings selbst vertieft. Trotzdem, oder gerade deshalb, dürfen die EU-Staaten nun nicht leichtfertig und enttäuscht die Verbindungen zu Ankara kappen. Miteinander zu verhandeln und zu handeln, ist das Gebot in dieser schwierigen Zeit. Vor allem darf der Beitrittsprozess nicht aufgekündigt werden. Und zwar nicht nur wegen des umstrittenen Flüchtlingsabkommens. Die Türkei ist auch wirtschaftlich, strategisch und menschlich mit der EU verflochten. Diese Bindungen zerstört man nicht einfach, sondern sie müssen enger geknüpft werden. Gerade wenn Anschläge am Bosporus das Land erschüttern. Die Türkei ist viel mehr als Erdogan.
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