Bielefeld (ots) - Ist es den Sozialdemokraten eigentlich unmöglich, auf angemessene Art und Weise einen Kanzlerkandidaten auszurufen? Wer bisher geglaubt hatte, der grandios gescheiterte Abzählreim »Gabriel raus, Steinmeier raus, also muss es der Steinbrück machen« von 2013 sei an Tölpelei nicht zu toppen, wurde gestern eines Anderen belehrt. Denn dieses Mal war es der Parteichef selbst, der alle Abmachungen über Bord warf und seine Genossen öffentlich bloßstellte. Sigmar Gabriel hatte jede und jeden verdonnert, bis zum 29. Januar eisern zu schweigen. Doch dann fällt er selbst aus der Rolle und liefert - per Interview - einen grandiosen Akt der Selbstinszenierung. Das Ergebnis dieser politischen Geisterfahrt: Der 57-Jährige verzichtet erneut auf die Kanzlerkandidatur, und anders als vor vier Jahren gibt er das Amt des Parteivorsitzenden gleich mit ab. Ach ja: Im Handstreich erklärt Gabriel flugs noch seinen Wechsel vom Wirtschafts- ins Außenministerium. Paukenschlag, Abgang - und viel zu viele Fragen offen. Warum jetzt? Warum so? Die Antwort kann nur lauten: Gabriel wollte sichergehen, das niemand den Eindruck haben konnte, geschweige denn ihn verbreiten würde, er sei am Ende doch auf irgendeine Art und Weise zum Verzicht auf die Kandidatur gedrängt worden. Für ihn ein letzter Akt der politischen Selbstbestimmung, dessen Kosten er kühl kalkulierend seiner SPD vor die Füße wirft. Allein deshalb ist es unangemessen, das Ganze als kluge Selbsterkenntnis zu loben. Natürlich ist das die Interpretation, die Gabriel anbietet, rückt sie ihn doch ins beste Licht. Man kann aber ebenso gut auch von seiner Flucht vor der Verantwortung sprechen. In jedem Fall bleibt Sigmar Gabriel nun der Unvollendete. Eine Bezeichnung, die im eklatanten Widerspruch zu dem steht, was er für seine Partei als Vorsitzender erreicht hat. Insbesondere aus dem lausigen 23-Prozent-Ergebnis der Wahl 2013 hat der SPD-Chef enorm viel gemacht. Rente mit 63, Mindestlohn und mit höchster Wahrscheinlichkeit ein neuer Bundespräsident mit sozialdemokratischem Parteibuch. Diese Bilanz ist mehr als respektabel. Sein Abgang ist es nicht. Mag sein, dass Martin Schulz der bessere Herausforderer von Angela Merkel ist. Mag ebenso sein, dass er die Kanzlerin besser angreifen kann, weil er anders als Gabriel nicht für die Große Koalition und das gemeinsame Regieren steht. Mag sogar sein, dass es dem Mann aus Würselen auch ohne große innenpolitische Erfahrung gelingt, die SPD wieder näher an ein 30-Prozent-Ergebnis heranzubringen und damit die kleine Chance auf eine rot-rot-grüne Regierung am Leben zu halten. Mag alles sein. Doch das hätte Gabriel auch mit mehr Stil haben können. Er hat es offenbar nicht gewollt. Sigmar Gabriel hat sich für einen unwürdigen Abgang entschieden.
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