Regensburg (ots) - Nein, übers Wasser laufen kann selbst er nicht. Sieben Monate sind eine verdammt lange Zeit. Martin Schulz, der gefeierte Erwecker und Heilsbringer der Sozialdemokratie, der die SPD aktuell in nicht mehr für mögliche gehaltene Höhen geführt hat, wird auf dem Weg zur Bundestagswahl im September die Mühen der Ebene kennenlernen. Derzeit versucht er sich schon mal als politischer Handwerker. Ohne programmatische Reparaturarbeiten wird die schrödersche Agenda 2010 weiterhin wie ein Mühlstein am Hals der SPD hängen und Schulz' Postulat der sozialen Gerechtigkeit diskreditieren. Der Kandidat will ran an die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I und die Befristung von Arbeitsverhältnissen. Er wirft Ballast aus rot-grünen Regierungstagen ab. Der grüne Anteil am Reformwerk wird meist als Fußnote abgetan. Die damalige Fraktionsvorsitzende im Bundestag pries die Hartz-Gesetzespakete als "mutig" und "notwendig fürs Gemeinwohl". Ja, Katrin Göring-Eckardt verspürte gar im Gefolge der Agenda einen "Frühling der Erneuerung" durchs Land wehen. Die Indolenz, mit der die Grünen in ihrer Regierungszeit den größten sozialpolitischen Einschnitt der Nachkriegsgeschichte hinnahmen, ist kennzeichnend für ihren gar nicht so langen Weg aus der Fundamentalopposition in die Realpolitik. Im Streben, sich im Parteiensystem als moderne Alternative zur altbackenen FDP zu positionieren, gingen viele ehedem eiserne Überzeugungen über Bord, pazifistische wie sozialpolitische. Der grüne Wandel durch Annäherung an den gesellschaftlichen Mainstream ging einher mit einer Verschiebung der Lebenswirklichkeit der Stammwähler. Diese sind seit den Achtzigern aus einem akademisch geprägten, linksalternativen Milieu in die ökonomisch saturierte Mittelschicht aufgestiegen. Die Bundestagswahl 2017 war als logischer Endpunkt dieser Entwicklung ausersehen. Das mit den Weihen der basisdemokratischen Urwahl versehene Spitzenduo Göring-Eckardt und Cem Özdemir vermittelte zwar alles andere als Aufbruchstimmung. Es sollte aber die solide Gewähr dafür bieten, die Grünen ohne große Brüche oder gar einen Kulturschock in ein schwarz-grünes Bündnis unter der Führung von Angela Merkel zu führen. Die grüne Hoffnung ist vor der Zeit dahin. Charisma dichtet den Polit-Routiniers Göring-Eckardt und Özdemir selbst im eigenen Lager keiner an. Mit Schulz' Erscheinen hat sich zudem die Tektonik des Parteiensystems verschoben. Andere Machtoptionen werden plötzlich wieder sichtbar, sie regen die Fantasien des zuletzt immer kleinlauteren Fundi-Flügels der Grünen an. Der in der Urwahl knapp unterlegene schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck hat bereits eine größtmögliche Distanz zur braven Berliner Parteilinie ausgerufen. Die Demoskopen tragen dazu bei, das Rumoren in der Partei zu nähren. Der Anteil potenzieller Grünen-Wähler hat sich binnen Jahresfrist fast halbiert. Die angestrebte Rolle als Juniorpartner und ökologisches Korrektiv in einer CDU-geführten Bundesregierung verfängt nicht. Ausgerechnet die Grünen, die in ihren Gründerzeiten eine Verheißung für überfällige Reformen waren, verkümmern zu konturenlosen Sachverwaltern eines schnöden Weiter-so in der deutschen Politik. Ein grüner Schulz ist derweil weit und breit nicht in Sicht. Jürgen Trittin, der einzige verbliebene Protagonist eines dezidiert linken Kurses, fristet ein Dasein im Schmollwinkel. Das politische Establishment hierzulande hat über die Jahrzehnte viele der Ideen aufgesogen, mit denen die Ökopartei einst angetreten waren. Vor kurzem galt es noch als undenkbar, aber der Wähler könnte diese blassen Grünen für entbehrlich halten und ihnen bei der Wahl im Herbst einen "Frühling der Erneuerung" verordnen - außerhalb des Berliner Parlaments.
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