Bielefeld (ots) - Luthersocken, Lutherkekse und der große Reformator als Playmobilfigur: Die Vermarktung des Jubiläums »500 Jahre Reformation« läuft auf Hochtouren. Der Tourismus boomt. Allein Wittenberg erwartet eine Million Besucher. Das Fernsehen bietet gut gemachte Historienspektakel, Chöre und Musicals füllen die Hallen der Republik. Aber ist das alles? Ja, es hat die Begegnung der EKD-Führung mit dem Papst gegeben. Und daheim, im Land der Reformation, leisten die Kirchengemeinden viel. Vorträge, Diskussionen, Kirchenkonzerte, Bibelarbeiten. Die meisten Impulse kommen von unten. Aber selbst von offizieller Seite gibt es Sorge, dass der Kern protestantischer Haltung im Getöse untergeht. Thies Gundlach, Vize im EKD-Kirchenamt, mahnt, das Jubiläum sei keineswegs eine reine Kirchenparty, sondern ein gesamtgesellschaftlich bedeutsames Ereignis. Wichtige theologische Wissenschaftler hätten sich aus der konstruktiven Diskussion abgemeldet, »weil sie bei der Kritik an Details stehengeblieben sind«. Jörg Lauster, Professor für Systematische Theologie in München, spielt den Ball zurück. Nicht einmal in Kuba, China oder Nordkorea käme man auf die Idee, die eigene Gründungslegende zehn Jahre zu feiern. In seiner Streitschrift »Der ewige Protest/Reformation als Prinzip« fordert er von der Kirche die Fortführung des Reformatorischen. Die Kirche gefalle sich im Gestus des ständigen politischen Bekenntnisses, beklagt Wolfgang Schäuble. Die Religion gerate aus dem Blick und die Politisierung der Botschaft untergrabe die spirituelle Basis, aus der doch ihre Strahl- und Überzeugungskraft erwachse. Auch seine termingerecht vorgelegte Streitschrift für »Protestantismus und Politik« hat noch keine Debatte ausgelöst. Dabei haben mindestens 95 Merksätze darin das Zeug zum Thesenanschlag: Martin Luther King, Desmond Tutu, Dietrich Bonhoeffer sind laut Schäuble wirklich einflussreich, weil sie auf der Basis des religiösen Bekenntnisses Politik gemacht haben. Tatsächlich: Dem Jubiläumsjahr fehlen noch die großen Debatten. Es geht weder darum, Luther heilig zu sprechen, noch darum, sich an der furchtbar unbeweglichen katholischen Seite zu reiben. Aber: Warum diskutiert niemand die durchaus zulässige Frage nach einer klareren Abgrenzung vom Islam. Oder: Müssen Religionen einander wirklich verstehen? Reicht es nicht, wenn sie sich gegenseitig respektieren? Und: Ist der Wohlfühlprotestantismus der EKD noch Protestantentum? Grenzt der meist rot-grüne Kirchenkurs Anderswählende politisch aus? Vor allem: Wie weit geht die ewige Toleranz? Wann ist der Wurf mit dem Tintenfass nach dem Teufel fällig? Bis zum Ende des Jahres hat der Protestantismus noch die große Bühne. Das Lutherjahr muss endlich in die Socken kommen.
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