Cottbus (ots) - Volksentscheide und Direktwahlen gelten als Allheilmittel, um die Schwächen der parlamentarischen Demokratie auszugleichen: die Macht der Parteien, den Verdruss der Wähler, die Abgehobenheit der politischen Elite. Motivieren nicht Plebiszite auch wieder jene zur Teilnahme, die sich schon abgewandt hatten? Stärken sie nicht die Akzeptanz von Entscheidungen, befrieden gar Konflikte? Inzwischen gibt es andere, bittere Erfahrungen, die man in der Debatte nicht länger ignorieren kann: Volksentscheide und Direktwahlen können zur hemmungslosen Polarisierung führen. Man hat das beim Brexit gesehen, bei der Präsidentschaftswahl in Österreich und den USA, bei Erdogans Referendum, und man wird es am Sonntag in Frankreich sehen. Am Ende steht es immer irgendwie 50 zu 50. Es gibt nur noch zwei Namen auf einem Stimmzettel. Und Sachabstimmungen werden auf Ja oder Nein reduziert, dazwischen gibt es nichts mehr. Das Volk teilt sich entsprechend. Wenn dann, wie in der Türkei, die Gewinnerseite der Auffassung ist, sie habe nun das alleinige Recht des Handelns erwirkt, dann folgt einer hauchdünnen Entscheidung eine verheerende Spaltung der Gesellschaft. 50,1 Prozent bestimmen, 49,9 Prozent beißen in die Tischkante. Das sind nicht Entscheidungen, das sind gesellschaftliche Scheidungen. Nur Radikalen nützt solche Polarisierung. Nicht ohne Grund gehört die Forderung nach Plebisziten über den Euro und Europa und nach einer Direktwahl des Bundespräsidenten zum Kernbestandteil des AfD-Programmes, das am Wochenende beschlossen werden soll. Im bestehenden System der parlamentarischen Demokratie Deutschlands fallen Beschlüsse zwar komplizierter und auch langsamer. Dafür aber steht fast immer eine Mehrheit von 60 Prozent oder mehr hinter ihnen - so viele Stimmen haben schon Bundestagskoalitionen in der Regel. Und wegen der Beteiligung des Bundesrates müssen dann noch weitere Unterstützer dazukommen. Es gibt de facto in Deutschland kein wichtiges Gesetz, das nicht mindestens von drei Parteien geteilt wird. Hinzu kommt das ausgeklügelte System von parlamentarischen Lesungen, Ausschussberatungen, Anhörungen, das dazu beiträgt, Kompromisse schon im Vorfeld auszuloten. Das Ziel der politischen Prozesse ist der möglichst breite Konsens, nicht der Konflikt. Und das ist gut so. Auch in Deutschland hat es Volksentscheide gegeben, etwa das Olympia-Aus Münchens oder das Verbot der Tempelhof-Bebauung in Berlin. Doch sind die Auswirkungen im Negativen wie im Positiven begrenzt geblieben, weil die Abstimmungen bisher nur lokal oder regional erlaubt sind. Dabei sollte es auch bleiben. Das Problem, die Bundespolitik wieder spannender und bürgernäher zu machen, muss tatsächlich gelöst werden. Aber nicht zulasten des Zusammenlebens einer Gesellschaft, die derzeit noch weitestgehend friedlich miteinander auskommt.
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